Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
auf einen fachlichen Dialog auf Augenhöhe mit ihm zu erwerben, statt nur als Mitläufer aus der Schulzeit zu gelten, bekam ich immer seltener Gelegenheit zu solchen Gesprächen.
Als sein elekronischer Doppelgänger an einem Freitagabend sechs oder sieben Anrufversuche nach New York abschmetterte, zwang ich mich, den Rat anzunehmen, den mir mein Vater bei meinem letzten Besuch zu Hause in einem Ton zwischen Ernst und Scherz gegeben hatte: »Ich denke, mit der Zeit solltest du dich mal nach einer jungen Dame umschauen.« Damit griff er in sanfterer Form die Jahr für Jahr an Weihnachten wiederkehrenden, zunehmend bissigen Sticheleien meines Onkels Frank und die neugierigen Mienen der Einwohner von Witching auf, die an meinen transatlantischen Leistungen vorbei auf die immer noch leere Stelle neben mir blickten. Und sie hatten nicht ganz unrecht. Gleich, aus welchem Grund – voller Terminkalender, begrenzte gesellschaftliche Möglichkeiten, natürliche Schüchternheit –, irgendwie hatte ich das Tor zu den mittleren Jahren erreicht und war immer noch allein.
Und so fing ich im Januar 1986 an, Kontaktanzeigen aufzugeben, und gewöhnte mich an die Scham und Aufregung, wenn mein Blick der Spalte bis zu der Stelle folgte, wo meine angeblichen Qualitäten aufgelistet wurden wie die der Rasenmäher und unerwünschten Geschenke auf der Seite gegenüber. Mehrere Monate lang bot ich mich in mehreren Zeitungen aus dem Einzugsbereich Chicago, in Zeitschriften für Menschen meiner Altersgruppe und sogar in psychiatrischen Fachblättern feil (mindestens in einer Ausgabe des Midwest Mind Monthly war ich der einzige Inserent und gewann zunehmend den Eindruck, dass die gesamte Rubrik nur als Gnadenakt eingeführt worden war, um eine Gefährtin für mich zu finden). Aus einer masochistischen Neigung heraus schnitt ich all diese Annoncen aus und hortete sie in einem Sammelalbum in der Hoffnung, eines Tages nach einem festlichen Abendessen herzlich darüber lachen zu können.
INTELLIGENTER, LEBHAFTER AKADEMIKER, 35, Chicago, gut gehende psychiatrische Praxis und geräumige Wohnung, Sinn für Humor, warmherzig, guter Zuhörer, leichter, charmanter britischer Akzent, begrenzte Erfahrung mit Beziehungen, mag Theater, Fischen und Aktivitäten im Freien, Literatur, spannende Gespräche, offen für neue Interessen, befreundet mit Fernsehstar, würde gern ähnlich einsame Frau für Gesellschaft und vielleicht für mehr kennenlernen. Kann reisen.
FUNKENSPRÜHENDER ÜBERFLIEGER, über dreißig, Raum Chicago, beruflich renommiert, glänzende Aussichten, intellektuell, aber bodenständig, englisch, aber gefühlsbetont, großzügig, aber praktisch, liebevoll, aber frustriert, in Krisen besonnen, sucht Begegnung mit Gleichgesinnten. Anrufe bitte abends.
NICHT VERPASSEN! Nur für kurze Zeit, besonderer, jugendlicher Mann mit abgeschlossenem Studium, der auf Angebote für Gesellschaft und mehr in der Gegend von Chicago und darüber hinaus wartet (Verkehrsmittel vorhanden). Die Gelegenheit – hier muss man einfach zuschlagen! Bei Unzufriedenheit Geld zurück.
GUTER SCHACHSPIELER, der es satthat, sowohl mit Weiß als auch mit Schwarz zu hantieren, sucht nach Schachwelt-Leserin zum Anstarren vor einem Brett, für Einzelspiele oder eine lange Serie, viele andere Interessen.
AUFSTREBENDER, BLAUÄUGIGER JUNGE, 35 , fühlt sich wie 21, sucht nach einer Frau zwischen 20 und 50, über 50 kommt auch infrage, um Wohnung und Leben zu teilen.
PROBLEME? Tausche meine gegen deine, ich bin Seelenklempner, und du könntest mein Antidepressivum sein!
DIESE WOCHE HABE ICH EINEN EXTRAGROSSEN KASTEN ERWORBEN, um vielleicht mehr anzulocken als das übliche vage Interesse und einen fruchtlosen Austausch von Anrufen. Ich bin ein anhänglicher, witziger, charismatischer, zuverlässiger Mann mit vielen Geschichten zum Erzählen. Der Fernsehdoktor Richard Aloisi schwört auf mich, und wenn Sie mich kennenlernen, werden Sie wissen, warum. Obwohl ich schon den 35. Geburtstag abgehakt habe, kann ich keine nennenswerten romantischen Erfahrungen vorweisen, was ich auf den schlechten Geschmack der Allgemeinheit oder (was mir schwerfällt) auf eigene Versäumnisse zurückführen muss. Zur Beruhigung der Frauen, die bereits einige erfolglose Runden Partnersuche hinter sich haben, stellt man es gern als einen Verlust für alle hin: »Die wissen gar nicht, was sie verpassen!« Deshalb hier noch einmal ganz unmissverständlich: Wenn Sie Single sind und das hier lesen, ohne sich
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