Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
Lampenfiebergeschichte weckte mein Interesse, weil ich selbst einmal in Macbeth gespielt hatte, wie übrigens fast jeder, dem ich von dem Fall erzählte 12 , doch ich hätte sie wohl bald wieder vergessen, wenn Richard nicht gewesen wäre. Das Theaterunternehmen hatte bei ihm angefragt, ob er Lily Ripley behandeln könnte, doch weil er überlastet war (er fungierte als psychologischer Beraterin einem aufsehenerregenden Prozess), verwies er den Direktor an mich. Wie bereits erwähnt, kam ich nach dem Fall Patsy DiMarco in den fragwürdigen, aber schmeichelhaften Ruf eines Spezialisten für »kreative Schwierigkeiten«, und so wurde schnell Einigkeit erzielt. Ich flog nach New York mit dem angenehmen Gefühl, meinen Platz in dem Drama einzunehmen, das ich in den Nachrichten verfolgt hatte, wie eine Figur, die aus den Kulissen auf die Bühne tritt.
Meine Recherchen zu Lily hatten ergeben, dass trotz möglicher oberflächlicher Ähnlichkeiten zwischen ihrem Fall und dem Patsys (tatsächlich kristallisierten sich später auch tiefere Parallelen heraus) große Unterschiede zwischen den beiden Frauen bestanden. Lily hatte beim Film gearbeitet, und laut mehreren Berichten schlug sich ihre Hollywooderfahrung noch immer in einem extravaganten Lebensstil und unberechenbaren Forderungen nieder. So hatte ich zum Beispiel gehört, dass ihr Umkleideraum im Charterhouse mit einem besonderen achteckigen Bett für ein nicht genauer diagnostiziertes Rückenleiden ausgestattet war; dass sie vor einer Vorstellung von einem heftigen Verlangen nach Dattelpfannkuchen oder Weihrauchkerzen gepackt werden konnte; und dass es in ihrem Bad von tibetischen Mönchen hergestellte Maniküre-Sets und Rosenblüten-Toilettenpapier gab. Doch zumindest – und entscheidend, um Starallüren zu rechtfertigen – war sie eine gute Schauspielerin. Ich hatte sie einmal bei einer gescheiterten Verabredung in dem schauderhaften Film Schwurgericht erlebt, in dem sie eine Richterin mit einem angeblich komischen romantischen Dilemma spielte. Obwohl von Komik nicht die Rede sein konnte – die einzigen Leute im Saal, die lachten, waren ein alter Spinner, der auch über die Sicherheitsdurchsagen lachte, und meine Begleiterin, die mich als Langweiler titulierte –, ließ Lily mit ihrer Darbietung das idiotische Drehbuch vergessen und bewies ein Talent für Unterstatement, das so gar nicht zu der Schilderung einer Primadonna passen wollte, wie sie mir zu Ohren gekommen war, als ich mich vier Jahre nach Entstehung des Films auf die Aufgabe vorbereitete, ihr bei ihrer soundsovielten Aufführung von Macbeth unter die Arme zu greifen.
Als obligatorischen Gag hatte man sich für diese Produktion eine Verlegung der Handlung in Stalins Russland einfallen lassen, doch die eigentliche Publikumsmagnetin war Lily als Lady Macbeth, die zerstörerische Königin der Burg. Eine Zeit lang hatte der Regisseur und Leiter Julian Mackensie leichtes Spiel. Dann, als müsste das Stück seinem Ruf gerecht werden, passierten allmählich merkwürdige Dinge.
Als ich mich zum ersten Mal zu einem überteuerten Mittagessen mit Mackensie im Charterhouse traf, stand er kurz davor, Lily für die Dauer von zwei Wochen komplett aus der Besetzungsliste zu streichen. Als offizieller Grund für den vorgeschlagenen Urlaub sollte Erschöpfung genannt werden, aber von den Eisverkäufern aufwärts wussten alle, dass das Problem komplizierter war.
»Wie Sie wohl schon gehört haben, hatte sie in letzter Zeit öfter Panikattacken auf der Bühne«, fasste der seit Langem in den USA lebende Theaterleiter in amerikanischem Singsang zusammen, einem unseligen Gemisch, mit dem er auf beiden Seiten des Atlantiks wie ein Ausländer klang und das, wie mir plötzlich einfiel, auch ich sprach. »Eine Weile war das sogar ein Vorteil für uns; man konnte die Gefühle sehen, die Angst davor, die Beherrschung zu verlieren … alles perfekt. Ich dachte, ich habe die ideale Lady Mac.«
Mit einem Gesichtsausdruck, der sein Standard war, wie ich bald herausfand – ein leises, freudloses Lächeln, das in keiner Beziehung zu seiner tatsächlichen Stimmung stand –, zupfte Julian an seinen langen ergrauenden Haaren. Nach fünfzehn Jahren als Theaterleiter im Londoner West End glaubte er, die Launen von Schauspielern zu verstehen. Umso mehr hatte es ihn überrascht, als Lily, mit der er schon des Öfteren zusammengearbeitet hatte, auf einmal solche Launen an den Tag legte.
Manche behaupteten, dass ihre Probleme von einem
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