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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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übergeben, bevor ich die Worte rausbringe. Ich musste die vier letzten Zeilen herunterhaspeln. Und dann heißt es natürlich, die kann nicht schauspielen, und in Wirklichkeit kotze ich mir hinter der Bühne die Seele aus dem Leib.« Die Erinnerung war wohl sehr stark, denn ihr Gesicht wurde ganz bleich. »Das sind so die kleinen Dinge, die seit Beginn des Stücks passiert sind. Und ich konnte niemandem was davon erzählen. Wie würde das denn klingen? Oh, ich hatte schreckliche Träume .« Sie lachte. »Die hätten bestimmt größtes Verständnis, wenn ich ihnen deswegen die ganze Vorstellung versaue.«
    Das Interessanteste an der Geschichte war die Beständigkeit des Traums. Zwar waren mir wiederkehrende Albträume nicht neu, aber eine Laufzeit von mehr als zwanzig Nächten – länger als manche Broadway-Inszenierungen – war mir noch nie untergekommen. Selbst wenn man unterstellte, dass Lilys Gedächtnis die Zahl vielleicht übertrieben hatte, handelte es sich um einen außergewöhnlich unverwüstlichen Traum. Die Stränge unbewusster Daten, deren Kombination ihn herbeiführte, mussten sehr zentral für Lilys geistige Verfassung sein. Auch hier war es denkbar, dass Lilys Erinnerung, erschüttert von der erschreckenden Stoßrichtung des Traums, kleinere Abweichungen der Handlung von Nacht zu Nacht unterschlug, doch die wesentlichen Züge – die johlende Menge, die Warnung, das grausige Gesicht – waren offenbar fest verankert. Jeder dieser Züge war ein relativ verbreitetes Element von Angstträumen, und ich hatte keinen Zweifel, dass die begleitenden Tagessymptome auf Zufällen, psychosomatischen Vorgängen oder der totalen geistigen und körperlichen Erschöpfung eines Menschen beruhten, der keinen richtigen Schlaf mehr fand.
    Die Frage war allerdings, wie man die Grundursache ausfindig machen und diese nächtlichen Besucher aus Lilys Kopf verscheuchen konnte.
    »Die Sache ist die, ich weiß , dass es eine Warnung ist«, stellte Lily fest, ehe ich dazu kam, diese vernünftige Sichtweise zu präsentieren; und nicht zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass mein Gehirn Lily mit einer Echtzeitkopie meiner Gedanken versorgte. »In meiner Familie waren alle präzise Träumer – sogar beängstigend präzise.«
    Das war eine ungünstige Wendung. Natürlich scheute ich mich vor einer Analyse von Träumen, die diese als speziell inszenierten Bilderreigen und verschlüsselte Prophezeiung aus einer anderen Dimension behandelte, statt als vielsagende, aber beliebige Zusammenstellung von Ideen. Dennoch blieb ich fürs Erste noch bei meiner Strategie minimaler Einmischung in der Hoffnung, dass uns Lily nicht zu weit in das Gebiet steuern würde, wo Freud von Fünf-Dollar-Führern ins Übernatürliche abgelöst wird, die dem Leser mitteilen, dass ein Traum von Gemüse Reichtum verheißt, während eine Zypresse auf eine Katastrophe hindeutet.
    »Mein Großvater hat einmal geträumt, dass sein Bruder in großer Gefahr ist«, berichtete Lily, »und vier Tage später ist er im Ersten Weltkrieg gestorben. Er war bei der Verpflegungseinheit, also war das keine besonders wahrscheinliche Vorhersage. Er wurde von einer Granate zerrissen, die ein Kamerad beim Üben abgeschossen hatte. Und Mum hat alle möglichen Träume. Sie hat geträumt, sie heiratet einen Linkshänder, und so kam es; sie hat geträumt, dass er eine Affäre hatte, und so war es; und einmal hat sie sogar eine Telefonnummer geträumt, die sie nach dem Aufwachen gewählt hat, und es war eine Schulfreundin, die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte.« In Lilys Gesicht kämpfte der Stolz mit dem Unbehagen. »Du verstehst also, warum ich Angst habe. Ich kann nicht einfach einen Traum nach dem andern ignorieren, in dem ich aufgefordert werde, das Stück nicht zu machen. Wenn es ginge, würde ich einfach hinschmeißen. Aber ich brauche das Geld und die Publicity. In ein paar Tagen kommen Leute vom Film, die eine Rolle zu besetzen haben. Ich kann es mir nicht leisten aufzugeben.« Sie schwieg einen Moment. »Ich brauche deine Hilfe.«
    Lilys Beschwörung ererbter prophetischer Traumkräfte schien wie eine doppelte Verfälschung der Idee von Ursache und Wirkung: Die Herstellung einer wackligen Verbindung zwischen einem Traum, dem nachfolgenden »vorhergesagten« Ereignis, einer noch weiter hergeholten Verbindung zwischen den Nostradamen aus ihrer Familie und ihr selbst setzte voraus, dass man sich große Freiheiten mit der Logik erlaubte. Wie alle derartigen

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