Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
gelaufen) und machte brav Konversation mit dem spillerigen Schauspieler. Alles, was er sagte, irritierte mich, vor allem seine jovialen Andeutungen auf Lilys Probleme. Mich beschlich der dunkle Verdacht, dass die künstlerischen Ergänzungen an dem Poster in der Küche von ihm stammten. Im Nachhinein muss wohl kaum erwähnt werden, dass meine Ungeduld gegen ihn in Wirklichkeit auf meine natürliche Schwäche Eifersucht zurückzuführen war, ein Gefühl, das hinter so vielen Ereignissen in diesem Bericht steckt, dass es mir mit dem Fortgang meiner Erzählung immer schwerer fällt, sie zu schildern. Die Eifersucht wiederum löste ein rastloses Unbehagen in mir aus, als hätte ich unehrenhafte Absichten. Auf jeden Fall war es bereits halb eins, als Liam nach einem ausführlichen Austausch von Insiderwitzen (zwischen ihnen) und Höflichkeiten (zwischen uns) zur Tür gebracht wurde. Inzwischen war Lily »total geschafft«, wie sie es ausdrückte, und nach einer weiteren halben Stunde lagen wir im Bett.
Im selben Bett, was wohl keinen Leser überraschen wird. Dennoch blieb unsere Beziehung so rein und platonisch, wie es zwischen zwei Erwachsenen verschiedenen Geschlechts in so einer Lage sein konnte, von denen die eine Schutz brauchte und der andere Schutz bieten wollte. Wir landeten auf völlig unschuldige Weise unter derselben Decke: Lily bemerkte, dass es im Gästezimmer nachts sehr kalt war (das stimmte; ich prüfte es persönlich nach), und ihre Decken hatte sie alle ihrem Freund, dem politischen Autor, geliehen, der als Absicherung gegen sein Schadenersatzverfahren sein Haus verkauft hatte. Ich bot an, in ihrem Zimmer auf dem Boden zu schlafen, sie bot mir das Bett an, und als Kompromiss einigten wir uns darauf, das Bett zu teilen.
»Vielleicht habe ich den Traum heute Nacht gar nicht.« Lily entkleidete sich, während ich auf den Vorhang starrte. »Es ist gut, nicht allein zu sein.«
Ich stimmte ihr zu und schob mich an den äußersten Rand des merkwürdigen achtseitigen Betts, um einen möglichst respektvollen Abstand von der Frau zu halten, die ich immer noch als »Patientin« bezeichnete. Als Lily wegdämmerte, hatte ich mich ihr genähert, aber nur ein wenig. In meinem ganzen Leben, so wurde mir klar, hatte ich höchstens eine Handvoll Nächte mit anderen Leuten zusammen geschlafen. Vereinzelte kurzfristige Beziehungen und ein oder zwei belanglose Ereignisse nach Verabredungen, die ausnahmsweise nicht mit Enttäuschung oder Schlimmerem geendet hatten. Aber diese Vertrautheit bedeutete mehr als schlichter Sex, sagte ich mir, als Lily im Schlaf sanft durch die Nase atmete. Ihre langen Wimpern hielten die Lider nach unten und die Gefahr fern. Von ihrem Gesicht fielen die Jahre ab, sie wirkte friedvoll. Allein durch meine Anwesenheit erfüllte ich meine Aufgabe. Ich beobachtete das Flattern ihrer Augenlider, bis mich die Wärme und ihre Nähe in einen verschwommenen Nebel entführten.
Fünf Stunden später öffneten und schlossen sich diese Augen hektisch, als sich Lily wieder im Griff eines Albtraums wand. Sie hatte sich kerzengerade aufgesetzt und murmelte immer wieder ein unverständliches Wort. Die Beharrlichkeit und Intensität, mit der sie das tat, waren kaum zu ertragen. Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie aus dem Traum zu reißen, und der Einsicht, dass es besser war, der Sache ihren Lauf zu lassen, beobachtete ich, wie sie aus dem Bett schlüpfte und es mit sonderbar stockenden Schritten umrundete, als wollte sie einen Sturz in einen Graben vermeiden. Noch zwei oder drei angespannte Minuten blieb sie in dem Traum gefangen und machte gelegentlich eine zaghafte, aber verzweifelte Geste wie jemand, der einen Angreifer abwehren möchte. Ich erinnerte mich an einen französischen Wissenschaftler, der dem Nachhirn von Katzen Verletzungen zufügte, um sie von der Paralyse des REM -Schlafs zu befreien, und verfolgen konnte, wie sie im Traum auf Tische und aus Fenstern sprangen und danach verdutzt aufwachten. Als Lilys Traumspiel vorbei war, setzte sie sich mit dem Rücken zu mir auf die Bettkante, und unter ihrem Nachthemd zeichneten sich schwach die Rundungen ihres Hinterns ab. Ich wollte mich schon entspannen, doch da zog sie laut schluchzend die Schultern hoch und begann, immer noch schlafend, wieder zu erschauern und zu weinen. Vorsichtig wie ein Tierbetreuer fasste ich sie an den Schultern und schüttelte sie zart, bis sie erwachte. Verwirrt schaute sie sich um, dann wischte sie sich die Augen
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