Rückwärtsleben: Roman (German Edition)
und Angst vor Mädchen hat, aber tatsächlich hat sich in mancher Hinsicht nur wenig geändert. Dad hat anscheinend immer noch Freude an Weihnachten; Mum zeigt wie immer eine gemischte Miene aus gezwungener Fröhlichkeit und geduldiger Nachsicht. Das Geschenk des Jahres war ein Bürostuhl. Ich war ziemlich stolz bei dem Gedanken, dass ich inzwischen ein Büro habe.
KONVERSATION
»Also, Peter, jetzt bist du dreißig … Wann bringst du endlich eine Familie mit?« Frank mildert seine aufreizenden Bemerkungen nicht mehr so subtil wie früher mit Humor ab. Ich erzählte allen von meiner neuen Arbeit in der Praxis, doch die Tatsache, dass ich immer noch alleinstehend bin, ist für manche anscheinend wie ein Schuldbekenntnis. Manchmal komme ich mir bei diesen Familientreffen vor, als müsste ich vor einem Sachverständigenausschuss über meine Fortschritte berichten.
Ich fragte Frank, was er von dem Boykott der Olympischen Spiele in Moskau hält, doch anscheinend interessiert er sich nicht mehr für die UdSSR .
EREIGNISSE
Ich redete mit Dad darüber, dass ich schon dreißig bin, ohne verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Er und Mum waren bei meiner Geburt Anfang zwanzig, und es ist merkwürdig zu wissen, dass man älter ist als der eigene Vater, als … Irgendwie habe ich das Gefühl, meinen Teil der Vereinbarung nicht einzuhalten. Dad meinte, ich soll mich nicht lächerlich machen, manche Leute gründen erst mit fünfzig eine Familie. Er sagte, für ihn und Mum war es anders, sie lernten sich kennen, sie wurde schwanger (anscheinend fiel es ihm nicht ganz leicht, so mit mir zu sprechen, doch er überwand sich mannhaft), und damit war alles klar. »Aber du hast noch zwanzig Jahre, bis du in Panik geraten musst, mein Junge. Wenn du mal fünfzig bist, und es tut sich immer noch nichts, dann stürz dich auf die Erstbeste, die dir über den Weg läuft.« Nachdem wir ausgiebig gelacht hatten, spielten wir Schach und hörten Platten wie in alten Zeiten.
»Zwanzig Jahre, bis du in Panik geraten musst« – das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Zwanzig Jahre sind seit meinem ersten Eintrag in dieses Buch vergangen. Und wenn ich so durch die Seiten blättere, ist es gar nicht besonders viel. Eher wie ein einziges, langes Weihnachten.
1981
GESCHENKE
Die Neuropsychologie des Alltagsgedächtnisses von Alexander Lurija. Ein kleiner Hinweis darauf, dass alles relativ ist. Es gibt auch Genies in meiner Branche. Eines Tages schreibe ich vielleicht ein Fallbuch – vielleicht alles in Stichpunkten, als Gag. Je weniger Zeit das Lesen eines Buchs kostet, desto besser verkauft es sich. Früher haben Richard und ich immer gesagt, dass wir gemeinsam ein Buch herausbringen, aber ich glaube nicht, dass er auf meinen Beitrag angewiesen ist. Er kennt schon jetzt genug prominente Leute, um einen Bestseller damit zu bestreiten. Wahrscheinlich schreibt er gerade einen.
KONVERSATION
Dieses Jahr wurde von einem eher unerfreulichen Gesprächsthema beherrscht: Dorothys Liebesleben. Sie hat einen neuen Freund, einen Griechen oder so. Einen Multimillionär mit einer Villa in Südfrankreich. Jemima und Steve sind über die Feiertage hingefahren, auch Rose. Frank redete fast während des ganzen Essens darüber. Es fällt ihm immer schwerer, seine Klagen wie früher mit Witzen aufzulockern. Alles in allem eine eher deprimierende Veranstaltung – nur er, Dad und Mum, Sally und ich. Und Sally ist seit Toms Tod noch einsilbiger geworden, falls das überhaupt möglich ist. Ich weiß nicht, ob sie in unserem Beisein überhaupt noch mal ein Wort herausbringen wird. Ich konnte es gar nicht abwarten, bis die Sache endlich vorbei war.
EREIGNISSE
Ein furchtbarer Tag. Ich weiß nicht, was mit Mum los ist, aber am Nachmittag ist sie einfach mitten im Gespräch aus dem Zimmer gestürmt und nach oben verschwunden. Später hat sie auch noch Dad angeschrien. Er musste sie nach draußen bringen. Wie üblich habe ich die Ohren gespitzt, um vielleicht was aufzuschnappen. Sie fragte Dad immer wieder, wie es sich seiner Meinung nach für sie wohl anfühlt, und machte Andeutungen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Er versuchte, sie zu beruhigen, aber sie waren beide ziemlich aufgeregt. Schrecklich, wenn die eigene Mutter weint und man nichts machen kann, weil man die Gründe einfach nicht versteht.
1982
G
Dieses Jahr konnte ich Dad und Mum endlich dazu überreden, nach Chicago zu kommen. Das war mein Geschenk für sie, aber auch ihres für mich. Ich war sehr
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