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Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Rückwärtsleben: Roman (German Edition)

Titel: Rückwärtsleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Watson
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auch über meine.
    »Sie wissen einen Haufen Scheiß, aber es ist ein komischer Scheiß«, resümierte Webster nach meinem nicht besonders interessanten Bericht über einige von mir bewunderte Psychologen.
    »Ich bin auch ein komischer Typ«, bekannte ich fröhlich.
    »Das hab ich nicht gemeint.« Webster klang, als hätte ich nicht mich, sondern ihn beleidigt.
    Als ich Webster in ein Taxi setzte (er war in einem Hotel abgestiegen, was noch vor zwei Monaten als riskante Idee betrachtet worden wäre), empfand ich fast väterlichen Stolz. Die Vorstellung von Vaterschaft war schwer zu vermeiden, wenn ich über Webster nachdachte und den großen Wunsch zu begründen versuchte, ihm zu helfen und von ihm respektiert zu werden. Das Wissen, dass Dad nicht mein echter Vater war, hatte mir zwar genützt, um mich vor der Kälte der Trauer zu schützen, doch auf lange Sicht wurde dadurch alles noch trostloser. Ich hatte das Gefühl, ihn zweimal verloren zu haben. Die Einsamkeit, die mich jetzt quälte, war unter anderem (so glaubte ich) auf das Gefühl zurückzuführen, das ich in meinem Weihnachsttagebuch des Öfteren erwähnt hatte: dass es jetzt an mir war, meinen Platz als Vater einzunehmen, den Zyklus fortzusetzen und meinen Teil zum Stammbaum beizutragen. Und diesen unterdrückten, aber realen Wunsch, ein Beschützer und Vorbild zu sein, rief Webster in mir wach, ein talentierter, verletzlicher Junge, der jemanden brauchte, um das gefallene Idol seines Vaters zu ersetzen.
    In einem Film hätte ich ihn adoptiert. So aber dachte ich einfach oft an ihn, ließ mich von ihm oder Frank Macguire jede Woche auf den neuesten Stand bringen und gab viel zu leicht nach, als Webster eine Bitte äußerte, nach der ich mich insgeheim gesehnt hatte: War ich bereit, ihn zu den Jugendspielen zu begleiten, um ihm im Notfall helfen zu können? Das brachte natürlich meinen Terminkalender durcheinander, aber vor allem war es wieder einmal eine fragwürdige außerplanmäßige Verpflichtung gegenüber einem Patienten. Ich brauchte ungefähr zehn Sekunden für meine Entscheidung.
    Lieber Dr. Kristal,
    Stimmt es, dass Sie Webster Bruce behandeln und versuchen, ihn für die Amerikanischen Jugendspiele fit zu bekommen? Wenn ja, wie sieht Ihr Beitrag aus? Beschäftigen Sie sich mit seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, oder geht es um seinen Kopf? Ist er verrückt oder nur ein wenig seltsam und aus dem Gleichgewicht?
    – Neugieriger Leser in L.A.
    PKs PROGNOSE
    Wieder einmal möchte ich meine Leser daran erinnern, dass ich in dieser Kolumne keine persönlichen Informationen über meine Klienten preisgeben kann. Aber in diesem Fall darf ich, um allen Spekulationen vorzubeugen, verraten, dass ich Webster wegen geringfügiger neurologischer Beschwerden behandle. Das sollte ihn nicht davon abhalten, alle anderen in Grund und Boden zu rennen – allerdings hoffentlich nicht so, wie er es schon mal getan hat …
    Als die Jugendspiele näherrückten und, angestachelt von einem Ausstattervertrag mit einer führenden Sportartikelfirma, der unweigerliche Medienrummel einsetzte, wuchs die Anspannung. Eine Nation, die der Leichtathletik normalerweise apathisch gegenüberstand, erinnerte sich an Websters Verhalten in den vergangenen Jahren und fragte sich mit einer Mischung aus Faszination und Unruhe, ob er triumphieren würde. Er erhielt hunderttausend Dollar von einer Fastfoodkette für eine Werbung, in der er Leute aus einer Schlange rempelte. »Hinkommen ist alles« lautete der Slogan, der mit einem breiten, einnehmenden Grinsen für die Kamera vorgetragen wurde. Aber bevor Frank Macguire, Webster und ich unsere Ehrenrunde planen konnten, galt es, einen wichtigen Schritt im Genesungsprozess zu meistern: die rechtzeitige Entwöhnung von den Neuroleptika, damit er die Blut- und Urintests bestand, die mittlerweile am Ende genauso fester Bestandteil des Ablaufs waren wie der Startschuss zu Beginn.
    Als mich Webster einige Wochen vor den Spielen und nur wenige Tage nach dem Absetzen des Medikaments zum dritten Mal aufsuchte, lastete die Furcht vor einer Rückkehr der bösartigen Seite seines Gehirns schwer auf ihm. Nachdem er gerade noch erklärt hatte, dass Streissman »eigentlich niemand ist – er belästigt mich überhaupt nicht mehr«, brachte er fast im selben Atemzug die Sorge zum Ausdruck, dass er den durch die Behandlung gewonnenen Boden wieder verlieren könnte. »Was ist, wenn er zurückkommt?« Es war beunruhigend, wie genau er die von ihm selbst

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