Rügensommer
überrascht. Da war ein bauchiges Windlicht, aus Muscheln und Steinen. Es gab Fotos, auf denen Sand und Wellen oder auch Buhnen und Treibholz derartig in Szene gesetzt waren, dass sie plötzlich etwas ganz Anderes, Neues darstellten. Es gab abstrakte Malerei, Collagen undauf Muscheln und Steine gemalte Miniaturen. Sie war beeindruckt.
»Kann ich helfen?«
Deike hatte den Mann hinter sich gar nicht bemerkt. Sie drehte sich zu ihm um und erblickte einen Hünen, bestimmt zwei Meter groß und mit unfassbar breiten Schultern. Er hatte eine Glatze und einen Kinnbart und stellte sich als Galerist und Schöpfer der meisten Werke vor, die sie soeben bewundert hatte.
»Deike«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. »Von
Rügen aktuell
. Wir sind verabredet.«
»Ach, du bist das!« Während er ihre Hand schüttelte, legte er seine andere auf ihren Oberarm. Deike hatte fest damit gerechnet, dass er mit seiner Pranke ihre schmalen Finger zerquetschen würde, doch er war erstaunlich behutsam. »Du kannst mich Boy nennen«, bot er ihr an und hielt dann einen Vortrag über die Art seiner Arbeit, die von einer übernatürlichen Inspiration geprägt und aufgrund ominöser Schwingungen in dieser Form nur auf der Insel möglich sei. Er sprach von Kreativität, Innen- und Außen-Ich und immer wieder von Kunst und kam nach langen Umwegen – zu allem Überfluss sprach er auch noch entsetzlich langsam – zu den Workshops, die er anbot und über die Deike schreiben wollte.
»Das ist für viele das erste spirituelle Erlebnis, an dem sie überhaupt teilnehmen«, erläuterte er.
Sie konnte mit diesem ganzen Esoterik-Kram nichts anfangen und fand außerdem, dass er nicht zu diesem Glatzenbär passte. Ebenso wenig wie seine Stimme, die merkwürdig leise und schleppend klang. Deike spürte das Bedürfnis, ihn anzutreiben, damit er endlich auf den Punkt kam.
»Wie genau läuft denn so ein Workshop ab?«, wollte sie wissen und zückte demonstrativ ihren Stift.
»Das ist wie Meditation, wie eine schamanische Traumreise, auf der viele erst ihre wahren Lebensbedürfnisse erkennen.« Boy sah sie eindringlich an. »Du wirst das ja am eigenen Leib spüren, wenn du an einem der Kurse teilnimmst. Ich denke, ich verrate dir lieber nicht zu viel vorher. Lass dich einfach darauf ein.«
»Das Problem ist, dass der Artikel erscheinen sollte, bevor die Kurse beginnen, damit die Leser sich dann anmelden können. Wenn ich erst selber teilnehme, wird das mit dem Erscheinungstermin etwas spät.«
»Du musst den Dingen ihren Lauf lassen, statt sie beschleunigen zu wollen«, sagte Boy in seinem tranigen Flüsterton. »Du hast ganz ungünstige Schwingungen. Glaub mir, der Umgang mit dem Holz und den Steinen, mit Farbe und Klebstoff wird dich total umkrempeln.«
Deike seufzte. »Das mag ja sein. Aber es geht nicht um mich, sondern um einen Artikel in unserer Gästezeitschrift, die schließlich nicht wenige Abonnenten in ganz Deutschland hat. Ist dir nun die Werbung für deine Kurse wichtig, oder willst du dich lieber um meine Schwingungen kümmern?« Sie verlor allmählich wirklich die Geduld. Ob er nun ein Anzeigenkunde war oder nicht.
Wortlos standen sie sich gegenüber. Mit einem Mal streckte er in einer überraschend schnellen Bewegung eine Hand vor, als wolle er sie im Gespräch unterbrechen. Dabei sagte sie doch gar nichts. Seine Augen weiteten sich, die Brauen schoben sich nach oben und sorgten dafür, dass seine Stirn in glänzenden Falten lag. Am liebsten hätte Deike auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre gegangen. Dieser Typ war eindeutig nicht ganz bei Sinnen. Flucht war in einem solchen Fall die beste Lösung.
Da sagte er: »Ich habe gerade dein Krafttier gesehen.«
»Bitte?«
»Psst! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Dein Krafttier ist …« Er schloss die Augen und machte eine lange Pause. Deike dachte schon, er würde es ihr nie verraten. Sie sah sich vorsichtig um und hoffte inständig, dass kein Kunde die Galerie betrat.
»Ein Frosch!«
»Ein Frosch?«
Er nickte langsam.
»Toll. Frösche gehören ja, wie jeder weiß, zu den Tieren, die für ihre unglaubliche Kraft bekannt sind«, lästerte sie. »Hör mal …«
»Es geht nicht um körperliche Kraft.«
»Da bin ich aber beruhigt.«
Wieder sah er sie eine Weile ruhig an, taxierte sie und dachte offenbar intensiv über etwas nach. Dann marschierte er unvermittelt hinter seinen breiten Holztresen, auf dem eine hübsche antike Registrierkasse stand. »Ich gebe dir einen Flyer
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