Rügensommer
witzig.«
Hannes kam mit einem Krug und drei Gläsern und setzte sich zu ihnen. »Die machen hier die beste Maibowle der Welt«, versprach er und schenkte eine rosa Flüssigkeit ein, die in den Gläsern perlte. »Zum Wohl!« Er wandte sich an Natty: »Will kommen auf Rügen!«
»Danke!« Sie strahlte ihn an und prostete dann auch ihrer Schwester zu.
Mich hätte er ruhig auch willkommen heißen können, dachte Deike, ließ sich aber nichts anmerken. Wenigstens schmeckte das Zeug wirklich gut. Hannes hatte einen guten Geschmack, das bestätigte sich einmal mehr.
Es kam, wie sie befürchtet hatte: Natty erzählte voller Begeisterung von ihrem Ausflug nach Vitt und hoch an das Kap.
»Wir haben uns Ringe gekauft. Es gibt hier so schönen Bernsteinschmuck!« Hannes griff nach Nattys Hand und sah sich das kleine Kunstwerk aus Silber und dem versteinerten Harz interessiert an. Deike streckte ihm ihre Hand ebenfalls hin, doch er beachtete sie nicht. Um die blöde Situation zu überspielen, griff sie nach dem Krug. Die Gläser der beiden warennoch gut gefüllt. Dann schenkte sie eben nur sich selber nach. Besonders viel Alkohol schien nicht in dem süffigen Gebräu zu sein, vermutete sie. Davon konnte sie bestimmt ein Gläschen mehr vertragen. Die Musik in dem Laden war richtig gut. Ihr Fuß wippte im Takt, ihre Finger trommelten auf der Tischplatte leise die Melodien mit. Natty erzählte die Krafttiergeschichte. Klar, dass sie Hannes damit zum Lachen bringen konnte.
»So ein Blödsinn!«, brachte er schnaufend hervor.
Das war nun wirklich nicht fair von Natty. Immerhin war das ihre Geschichte. Sie hätte die Chance gehabt, sich damit auch an der Unterhaltung zu beteiligen. Aber das war schon immer so gewesen. Die hübsche Natty war das Zentrum der Aufmerksamkeit, und Deike war das hässliche Entlein. Oder der hässliche Frosch. Ihr Glas war schon wieder leer. In diese Becherchen passte aber auch nichts rein.
»Was machst du eigentlich, wenn du keinen Urlaub hast?«, fragte Hannes Natty gerade.
»Ich arbeite in einer orthopädischen Klinik.«
Wenn Deike sie auf ihre Arbeit ansprach, wimmelte sie sie immer ab und wollte in den Ferien nichts davon hören, doch wenn er fragte, war das natürlich etwas ganz anderes.
»Ein Freund von mir hat sich beim Volleyball den Meniskus gerissen. Das ist eine langwierige Geschichte, oder?«
Ha, jetzt hatte er einen Fehler gemacht. Fachgespräche führte Natty grundsätzlich nicht in ihrer Freizeit. Gleich würde sie die rote Karte zücken.
»Das kommt darauf an.« Natty legte den Kopf schief. »Nor malerweise sollte er ein bis zwei Wochen nach der OP wieder auf den Beinen sein. Bis er allerdings wieder Volleyball spielen kann, dauert es erheblich länger. Ist es der Innen- oder der Außenmeniskus?«
Deike kannte ihre Schwester nicht wieder. Andererseits … Natürlich, sie flirtete. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Da durfte man sogar über gerissene Knorpel sprechen.
»Ich hole mal einen neuen Eimer«, verkündete Deike, nahm den inzwischen leeren Krug und ging damit zur Theke. Dort herrschte ein ziemliches Gedrängel. Diese prickelnde Kinderbowle schmeckte wohl nicht nur ihr so gut. Egal, sie konnte sich Zeit lassen. Die beiden Turteltauben würden sie sowieso nicht vermissen. Sie fragte sich kurz, warum sie ihrer Schwester den Flirt nicht einfach gönnen konnte, warum es sich so schal anfühlte, aber dann schob sie den Gedanken gleich wieder beiseite.
Auf der Tanzfläche war wenig Betrieb. Erstaunlich, bei der guten Musik! Sie könnte Hannes fragen, ob er Lust hatte, mit ihr zu tanzen, aber bestimmt hatte er zwei linke Füße.
»So, hier kommt frischer Stoff!« Deike goss schwungvoll die Bowle ein, die über Nattys Glas hinausschoss und Sprenkel auf deren Bluse hinterließ.
»Hey, pass doch auf!«
»Entschuldigung«, murmelte sie zerknirscht.
»Dir ist wohl der Frosch zu Kopf gestiegen«, scherzte Natty. Sie war unglaublich. Wie es aussah, war ihr Ärger von einer Sekunde auf die andere schon wieder verraucht. »Ich gehe mal ins Bad und rette, was zu retten ist.«
»Tut mir ehrlich leid«, sagte Deike leise. Wie so oft fühlte sie sich in der Nähe ihrer Schwester wie ein Trampel. Sie hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen.
Hannes legte eine Hand auf ihre. »Nun lass doch nicht gleich den Kopf hängen. Das ist doch nur eine Bluse.«
Sie sah auf, direkt in seine grauen Augen, die mit einem Mal ganz vertraut wirkten. Mann, war das ein Blick! Ihr wurde
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