Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
Handelns immer größer zu werden. Sie erinnerte sich an das Paar in der Bibliothek. Als sie es damals beobachtete, hatte sie an Sanburne gedacht und sich deshalb leidgetan. Doch nun, da er ihren Rücken streichelte, kam es ihr vor, als läge durchaus Gefühl in seiner Berührung. Und als sie sanft die Finger durch sein Haar gleiten ließ, war ihre Liebkosung nicht ohne Fürsorge.
Gott im Himmel, war sie so anmaßend gewesen, sich einzubilden, sie könnte dies ohne Reue tun? Sie lag an ihn geschmiegt wie ein Kind, ohne jedes Bedürfnis, sich zu bewegen, nicht einmal zu blinzeln. Sie hatte nicht mehr so nahe bei einem Menschen gelegen, seit sie neun oder zehn gewesen war. Ja, in jenem Sommer, als sie hohes Fieber bekommen hatte und Halluzinationen, als wilde Monster vor ihren Augen getanzt hatten. Vor Angst weinend hatte sie sich erst wieder beruhigt, als Mama zur ihr ins Bett gekommen war. Wie kühl sich Mamas Hals angefühlt hatte. Nur mit dem Gesicht daran gepresst hatte Lydia sich sicher genug gefühlt, um zu schlafen. Sicher – so fühlte sie sich auch jetzt, in seiner Wärme geborgen, in seinen Armen, die sich bei jedem ungewollten Zucken von ihr fester um sie schlossen. Doch es war eine trügerische Sicherheit. In Wahrheit bot er ihr nichts dergleichen. Und sie hatte dies auch nicht getan, um etwas von ihm zu bekommen. Oder etwa doch?
Beunruhigt wollte sie sich aufsetzen. »Warte«, murmelte er und hielt sie fest. »Noch ein Weilchen. Was dir auch gerade durch den Sinn gehen mag – was du dir auch gerade sagst –, ignoriere es erst einmal.«
»Das war leichtfertig.«
»Überaus. Das sind die besten Entscheidungen meistens.«
Sie heftete den Blick aufs Fenster. Der Regen klopfte nicht mehr an die Scheibe, und die Wolken schienen sich zu lichten. »Aber dass es ein Kind zur Folge haben wird, ist sehr unwahrscheinlich. Mit Biologie kenne ich mich aus und mit meiner … Regel.«
»Ist es das, was dir Sorge bereitet?« Er zögerte, und seine nächsten Worte kamen unbeholfen hervor, als hätte er es verlernt, normal mit ihr zu reden. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich kein Tunichtgut bin. Ich würde dich nicht im Stich lassen.«
Aus dem Munde eines Mannes, der derart gefeit gegen naturgegebene Gefühle war, kam ihr diese Beteuerung untypisch vor. Andererseits vergaß sie immer wieder, dass er auch eine andere Seite hatte. Zum Ausgleich für sein grauenvolles Verhalten Moreland gegenüber war da seine Liebe zu Lady Boland. Diese beiden Aspekte passten für sie nur schlecht zusammen. Sie fühlte sich seltsam aus der Balance gebracht, obwohl sie sich keinen Zentimeter bewegt hatte. Wie konnte er ihre unverzagte Hingabe an Papa nicht verstehen? Wo sie seinen Gefühlen für seine Schwester doch so ähnlich war! Eine derartige Hingabe von seinem Geliebten entgegengebracht zu bekommen … bei dieser Vorstellung atmete sie wieder schneller.
Schon im nächsten Moment war sie wütend auf sich selbst. Er behauptete, seine Loyalität nur Menschen zu schenken, die sie auch verdienten. Hegte sie ernsthaft die Hoffnung, dass sie sie sich verdient hätte, indem sie ihm zu Willen war? Wie unglaublich herabwürdigend.
Sie rollte sich weg von ihm. Ihre Finger fühlten sich steif und geschwollen an, während sie ungeschickt an den Knöpfen ihres Mieders nestelte. Als er sich aufsetzte und ihr helfen wollte, drehte sie sich weg. »Ich kann das allein.«
»Lass mich«, bat er.
»Nein.«
Als er ihre Hände von dem Mieder wegziehen wollte, gab sie seinen einen leichten Klaps. Er packte ihre Handgelenke und hielt sie fest, als wäre sie ein Nichts, als wäre sie der Schwächling, der sie seiner Meinung nach angeblich nicht war. Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Knie und versuchte, sich von ihm loszureißen, doch er lockerte seinen Griff nicht. Das ärgerte sie. Mit einem unwilligen Knurren versuchte sie es erneut und schaffte es zwar, ihn hoch auf die Knie zu ziehen, aber nicht, sich loszureißen. Sie versuchte es abermals und abermals, und ihr Ärger schlug rasch in Wut um. Doch er ließ sie zappeln. Seine Finger schlangen sich heiß und fest um ihre Gelenke, während er sie fixierte. Sein steter Blick brachte sie langsam in Verlegenheit. Er wirkte so ruhig und gelassen, während diese Wut … Woher kam sie nur? Sie trieb ihr Tränen in die Augen. Sie stand in keinem Verhältnis zu dem Anlass; es kam ihr so vor, als hätte er sie verraten, obwohl es natürlich nicht so war.
Mit einem Stoßseufzer gab sie auf.
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