Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
Hand auf dem Geländer, wandte sie sich zu ihr um. »Na, dass er in Sie verliebt ist. Ich hoffe, Sie kommen jetzt nicht auf dumme Gedanken … Es ist durchaus möglich, dass ich mich irre. Sie sind ganz und gar nicht der Typ, von dem ich erwartet hätte, dass er ihn von seiner Schwermut befreien könnte. Aber wenn es nur eine Tändelei ist, hätte ich auch nichts dagegen. Was genau ihn letztlich aus seiner unendlich düsteren Stimmung reißt, ist mir gleichgültig. Es wird langsam langweilig.« Und mit einem Achselzucken drehte sie sich wieder um und setzte ihren Weg fort.
Lydia blieb entgeistert zurück. Nur eine anerkannte Schönheit konnte sich einen so unbekümmerten Abgang verschaffen. Die gerade Haltung ihres schlanken Rückens und dass sie ihr nicht einmal mehr einen letzten Blick zuwarf, kündete von ihrem völligen Desinteresse an dem Aufruhr, den sie mit ihren Worten in Lydia ausgelöst hatte.
Ein Dienstmädchen trippelte mit einer Flasche Portwein in der Hand durch die Halle. Ihr neugieriger Blick veranlasste Lydia, tief durchzuatmen und ebenfalls die Treppe hinaufzusteigen.
Auf dem ersten Treppenabsatz erschreckte sie der Anblick ihres Gesichts in dem langen Spiegel dort: blass und mit geröteten Augen, als würde sie gleich weinen. Als wüsste ihr Körper bereits etwas, das ihr Gehirn erst noch begreifen musste. Sie betrachtete sich lange.
Lydia Boyce, gefallene Frau.
Lydia Durham, Viscountess Sanburne.
Ihre Wangen wurden heiß. Na großartig! Sie, die sich nie für typisch weiblich gehalten hatte, errötete nun bei der Vorstellung, einen Verweigerer zu heiraten. Und wäre das nicht ein Riesenwitz? Der Liebling der herrschenden Klasse, dazu gezwungen, eine unscheinbare alte Jungfer zur Braut zu nehmen. Trotz seiner offenkundigen Missachtung der Meinung anderer konnte sie sich nicht vorstellen, dass er auch Spott und Hohn so gut zu handhaben wüsste. Dafür ließ er sich zu gern bewundern. Er hatte fast geprahlt damit. Und was Mrs Chudderleys bizarre Spekulation betraf: Das war es nicht wert, darüber nachzudenken. Sanburne hatte nicht von Liebe gesprochen, und schon gar nicht von Heirat. Er hatte ihr nur versprochen, sie nicht im Stich zu lassen . Selbst eine teure Hure hätte ein besseres Angebot erwartet: eine Blankovollmacht für sein Konto und eine eigene Wohnung.
Ein zitternder Seufzer entfuhr ihr. Sie wandte sich von ihrem hämischen Spiegelbild ab und lief durch den Korridor zu Sophies Tür. Als auf ihr leises Klopfen keine Reaktion erfolgte, drückte sie die Türklinke herunter. Sophies Dienstmädchen schlief in der Ecke auf einer Pritsche. Das Bett selbst war leer, die Laken unberührt und glatt gebügelt.
Sophie war mit den anderen Boot fahren gegangen. Nichts weiter.
Doch auf dem Weg in ihr eigenes Zimmer stieg eine leichte Übelkeit in ihr auf. Vielleicht war an Sanburnes Liebesphilosophie etwas Wahres dran. Sophie hatte mit George kaum fünfzig persönliche Worte gewechselt, als sie seinen Heiratsantrag annahm. Alle Gründe, die sie dazu bewogen hatten, ihre Liebe zu ihm zu erklären – seine feinen Manieren, sein gutes Aussehen, der Luxus, den er ihr bieten konnte –, hatten nichts damit zu tun, wie er sie behandelt hatte. Und nun beklagte sie sich ständig über ihn und quälte sich wenig anmutig unter der Last ihrer erfüllten Erwartungen. Er hätte sich ihr erst einmal beweisen müssen, dachte Lydia.
Und Sophie sich ihm eigentlich auch.
In ihrem Zimmer fand sie Ana schlafend vor. An der Lampe lehnte ein Telegramm. Papa hatte mit einer Theorie aus Gibraltar gekabelt: Er hatte an Bord des Schiffes einen Bekannten getroffen, einen gemeinsamen Freund von ihm und Hartnett. Zu Papas großer Betroffenheit hatte dieser Mann angedeutet, dass Hartnett sich kurz vor seinem Tod mit Overton angefreundet hatte. Papa wollte zwar nicht glauben, dass sein alter Freund sich mit seinem erbitterten Konkurrenten gegen ihn verschworen hatte, um seinen guten Ruf zu untergraben, doch die Möglichkeit war nicht ganz von der Hand zu weisen.
Sie ließ das Telegramm sinken. Das klang logisch. Carnelly hatte erwähnt, dass Overtons Sendung ebenfalls fehlgeleitet worden war. Es war schockierend, aber nicht undenkbar, dass Overton die Verwechslung der Sendungen arrangiert hatte, um Hartnetts echte Antiquitäten durch Fälschungen zu ersetzen. Ein infamer Plan, aber eine hervorragende Methode, einen Konkurrenten zu diskreditieren.
Sie wusste, was sie empfinden sollte: Erleichterung über eine
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