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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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glaubwürdige Erklärung und eine gesunde Wut auf Overton. Doch ihre Gefühle waren seltsam abgestumpft. Ich würde dich nicht im Stich lassen . Was hatte er damit gemeint? Sie wünschte, sie könnte ihm glauben, doch Moreland hätte zweifellos eine andere Geschichte zu erzählen. Darin lag James’ eigentlicher Irrtum, und auch Sophies. Wenn Liebe einmal erklärt und Loyalität einmal geschenkt wurde, durfte man sein Wort nicht brechen, wenn man wollte, dass einem je wieder geglaubt würde.
    Mit einem Seufzer faltete sie das Telegramm zusammen und verstaute es in ihrer Reisetasche. Es war an der Zeit, Carnelly einen neuerlichen Besuch abzustatten.

13
    Im Expresszug nach London befanden sich zu dieser frühen Morgenstunde nur wenige Fahrgäste. Ein Student mit einem Haarwirbel, der verträumt einen Brief betrachtete, dessen Ränder viele Herzchen säumten. Eine Mutter mit einem übermütigen kleinen Mädchen, das James breit angrinste, als er an ihnen vorbeikam. Ein grauhaariger Universitätsdozent, der stirnrunzelnd die neuste Herodot-Übersetzung las. Und schließlich die Frau, die ihm gegenüber auf der Bank mit grünem Mohair-Stoff saß. Sie hatte kein Wort mit ihm gesprochen, seit er sich hingesetzt hatte. Bis zum Hals zugeknöpft, eine Hand an die Wand gestützt, um dem Schaukeln des Waggons entgegenzuwirken, wirkte Lydia Boyce alles andere als freundlich.
    Zu anderen Gelegenheiten, in einer anderen Stimmung, hätte er sie deshalb vielleicht aufgezogen. Doch ihm war nicht nach Liebenswürdigkeit zumute. Er hatte nicht mehr als eine Stunde geschlafen. Kurz nach Sonnenaufgang war er schließlich aufgestanden, um einen Spaziergang zu machen, und hatte Lydia in der Vorhalle angetroffen, wo sie gerade einen Diener anwies, die Kutsche bereitzustellen. Diese Frau, der er letzte Nacht beigewohnt hatte, deren Schenkel unter seinen Küssen erbebt waren, beabsichtigte, abzureisen, ohne ihm Lebewohl zu sagen. Das brachte ihn in Harnisch. »Sich ohne Anstandsdame einfach aus dem Staub zu machen«, hatte er sarkastisch bemerkt. »Das ist nicht nur feige, sondern auch ein wenig unklug, wage ich zu behaupten.«
    Sie hatte ihn lange angesehen und die Augenbrauen leicht zusammengezogen, als bemühte sie sich, ihn klarer zu erkennen. In ihm war Besorgnis aufgestiegen. »Hast du deine Brille verlegt?« Die Frage hatte mokant geklungen, doch nur, um eine Sorge zu verbergen, die so groß war, dass sie ihm lächerlich vorkam. Schließlich konnte sie nur schlecht allein mit dem Zug fahren, wenn sie nicht einmal richtig sah. »Tu das nicht«, fuhr er fort. »Bleib noch und sprich mit mir.« Und zu seiner Verwunderung war die Schamröte in ihm aufgestiegen, woraufhin er den Mund fester zugeklemmt hatte als eine Auster. Idiotisches Schuljungengeschwätz.
    »Tut mir leid«, sagte sie gedankenvoll. »Ich muss zurück in die Stadt. Eine dringende Angelegenheit. Wir sprechen ein andermal, wenn ich wieder klarer denken kann.«
    Sie wollte also einfach so davonstürzen und ihre Unterhaltung vertagen, bis es ihr passte? »Wir reden jetzt. Ich stimme dir zu, du kannst gerade nicht klar denken. Du bist nicht in dem Zustand, ohne Begleitung zu reisen.«
    Aus heiterem Himmel hatte sie gelächelt. »Hältst du mich für eine Mimose? Nach all dem? Ich führe das Geschäft meines Vaters, Sanburne. Da kann ich auch allein mit dem Zug fahren, wage ich zu behaupten.« Und dann hatte sie mit einem kühlen Nicken auf dem Absatz kehrtgemacht und war hinausgegangen.
    Eine gute Minute lang hatte er fassungslos hinter ihr hergegafft. Sie hatte ihn schon einmal gewarnt: Ich habe ein Talent für denkwürdige Abgänge . Doch er hatte ihr nicht zugehört. Seine Meinung von ihr war wie eine Sandburg: Sie bedurfte ständiger Reparaturen. Oh Eitelkeit! Was auch immer ihre Motive gewesen sein mochten, mit ihm zu schlafen, er war wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass er selbst auch zu ihnen zählte. Doch als die Tür ins Schloss fiel, war ihm etwas klar geworden, was er in den langen Nachtstunden nicht ein einziges Mal auch nur in Betracht gezogen hatte. Abgesehen von einer Stunde Vergnügen und gelegentlichem Begleitschutz in zweifelhafte Stadtviertel wollte sie überhaupt nichts von ihm.
    Seine Fassungslosigkeit bewog ihn, ihr zu folgen. Er war attraktiv, reich und beliebt. Erbe eines Titels und eines überreichlichen Vermögens. Infolgedessen kamen die Frauen mit konkreten Zielen zu ihm. Das letzte Mal, als er mit jemandem geschlafen hatte, der

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