Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
sie ihn wieder an. »Es ist ein geschäftlicher Rivale«, sagte sie nüchtern. »Ein Mann namens Mr Overton, der einem nicht mal den Unterschied zwischen Archäologie und dem Ausheben von Wassergräben erklären könnte. Seit bestimmte Kunden von ihm zu meinem Vater gewechselt sind, war er verbittert. Auf jeden Fall fahre ich in die Stadt, um der Sache nachzugehen.«
Herrgott. »Hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe? Ein Mann mit einem Messer hat mich angegriffen. Du brauchst dieser Sache nicht nachzugehen. Wenn dein Vater auf dem Weg hierher ist, soll er das selbst regeln. Schließlich ist es sein Geschäft, oder nicht?«
»Sein Geschäft, das ich führe.«
»Gratuliere!«
»Was soll das heißen?« Sie kniff die Augen zusammen. »Was sollte ich denn sonst tun, Sanburne? Mich mit Gobelinstickerei befassen und Klavier spielen?«
Er schwieg. Aber oh, jetzt wusste er, woher der Wind wehte! Sie wickelte Boyces Geschäfte für ihn ab. Löste all seine Probleme. Sie war Sekretärin und Geschäftsführerin in einem, zum billigsten Lohn. Ganz schön clever, der Herr Papa.
Sie beäugte ihn noch immer. »Wenn ich es mir recht überlege, warst du diesen Winter auch in Ägypten, stimmt’s? Vielleicht kommt ja jemand auf die Idee, dass du von dort ein kleines Geschenk mitgebracht hast.«
Nichts brachte sie schneller in Verteidigungshaltung als Kritik an ihrem Papa. Ihm kam der abstruse Gedanke, dass er mit einem Sechzigjährigen konkurrierte. »Schon möglich. Leider habe ich nichts mitgebracht außer Flöhen.« Wieder zuckte er mit den Achseln. »Nun, es ist eine abenteuerliche Theorie. Recht oder Unrecht, in einem sind wir uns einig: Die Fälschungen sind für uns wertlos. Da sie es dem Jungen wert sind, für sie einen Mord zu begehen, würde ich sagen, dass wir sie ihm lieber aushändigen. Und meinem Briefkasten den Missbrauch ersparen – ganz zu schweigen von meiner Kehle.«
»Ganz gewiss nicht«, gab sie kühl zurück. »Wenn dieser Verrückte sie so dringend will, muss er der Schlüssel dazu sein. Wenn wir ihn haben, können wir herausfinden, bei wem er in Lohn steht, bei Overton oder bei jemand anderem.«
»Großer Gott«, sagte er leise. Steif und förmlich hatte er sie einmal gefunden. Doch es war nicht Gefühlskälte, die sie antrieb. Es war unerbittliche, wahnhafte Entschlossenheit. »Lydia. Du würdest dich dafür wissentlich in Gefahr bringen?«
Sie sah ihn an wie den größten Idioten auf Erden. »Sanburne, warum verstehst du es nicht? Wenn dies ein wohlüberlegtes Komplott ist, um den guten Namen meines Vaters zu besudeln, habe ich keine Wahl.«
»Der Mann hatte ein Messer«, sagte er. »Was daran verstehst du nicht?«
Sie presste grimmig die Lippen zusammen und wich seinem Blick aus.
Was für ein Spaß, dachte er düster. Was als harmloser kleiner Streich begonnen hatte, um seinen Vater in Verlegenheit zu bringen, hatte ihn in diese Lage gebracht – eine ungewollte Rolle in dem banalsten Drama, das man sich nur vorstellen konnte: die Rettung der Ehre ihres Vaters.
Albern, einen Schauder zu verspüren. Doch es war unheimlich, geradezu gespenstisch, wie sehr sie ihn an Stella erinnerte. Seine Schwester war so starrsinnig gewesen, so verbohrt auf ihr Ziel konzentriert, dass selbst gewaltige Explosionen sie nicht vom Kurs hätten abbringen können. Boland hatte sie in aller Öffentlichkeit gerügt, weil sie angeblich einem anderen schöne Augen gemacht hatte, und sie entschuldigte sich dafür. Als sie ihn wegen eines falschen Tanzschritts auslachte und er sie deshalb wütend von der Tanzfläche stieß, entschuldigte sie ihn abermals und schob die Schuld für seine Launenhaftigkeit auf das zweitklassige Orchester. Er hatte ganz offen eine Affäre mit der Duchess of Farley geführt, und als Stella ihn deshalb zur Rede stellte, ohrfeigte er sie wegen ihrer Unverschämtheit. Sie hatte prophezeit, dass die Ehe ihn läutern würde. Falsch gedacht. Ohrfeigen waren nützliche Warnungen. Ohrfeigen und Messer – nur Märtyrer und zukünftige Opfer ignorierten sie. »Dir steht noch einiges bevor«, sagte er grimmig.
Sie gab nicht vor, ihn misszuverstehen. »Bitte hör damit auf, meinen Vater zu verunglimpfen. Ich habe es dir schon einmal verziehen, oder nein, inzwischen schon zweimal, wenn man deine Fisimatenten bei Lord Morelands Dinner mitzählt. Aber ich kann es nicht noch einmal zulassen. Nicht guten Gewissens.«
»Mach dir nichts vor«, sagte er. »Wenn du jetzt weitermachst, spielst du nicht
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