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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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wie er wollte. Er konnte um Mitternacht unbewaffnet durch die gefährlichsten Straßen spazieren und damit alle herausfordern. Er konnte sich die Treppe hinabstürzen, doch sein Körper machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er hatte Fäuste wie Schinkenkeulen. Er war groß, muskulös und durchtrainiert. Für ihn wäre es immer etwas anderes. Er konnte sich verteidigen, und sie nicht. Diese Erkenntnis in ihrem Gesicht würde er nie vergessen – die Furcht aufgrund der eigenen Hilflosigkeit. Wie klein und zierlich sie im Vergleich zu Boland gewesen war …
    Jähe Wut durchzuckte ihn. Seine Fäuste waren jetzt wie Meteore, flink und geschlossen, vor Leidenschaft brennend. Ein Uppercut ließ den Iren nach hinten taumeln. » Schlag mich«, schrie James. Vier kurze Geraden, und der Mann ging in die Knie. »Mehr hast du mir nicht zu bieten? Steh auf, du Scheißkerl!« Sein Speichel und sein Blut sickerten ihm warm übers Gesicht, doch es störte ihn nicht. Er spürte es kaum. Seine Haut war empfindungslos. Wenigstens ein Ziel erreicht.
    Finger hakten sich unter seine Arme, krallten sich in sein Hemd. Er wurde hochgezerrt, weg von seinem Gegner.
    Die Luft in der Schankwirtschaft war heiß und stickig. Der Ire lag auf dem Boden und regte sich nicht. James hob den Kopf und sah zu, wie der Rauch in trägen blauen Schwaden nach oben stieg und sich zu der Wolke gesellte, die unter den Balken schwebte. Ein uraltes Gebäude. Hier und da klirrte ein Zinnkrug beim Absetzen auf Holz, oder ein Gast bat flüsternd um einen Gin. Doch im Großen und Ganzen herrschte Stille. James holte tief Luft.
    »Irland für immer«, rief er und lachte.
    »Herrgott, James!«
    Überrascht blickte er auf. Oben auf der Treppe stand eine Gestalt, deren Gesichtszüge er aufgrund des Lichts, das hinter ihr hereinströmte, nicht erkennen konnte. Doch die tiefe, angenehme Stimme war unverkennbar. Als Student hatte Phin bei Volltrunkenheit gern gesungen. Zwischenzeitlich hatte er andere Verwendungsmöglichkeiten dafür gefunden. Vor zwei Jahren, während einer seiner Stippvisiten in der Stadt, hatten sie sich in einem Wirtshaus getroffen. Phin war am Rande von etwas gewesen, das die Ärzte später als Malaria-Rückfall diagnostizieren sollten, was ihm damals jedoch nicht klar gewesen war. Nach ein paar Whiskys hatte er unvermittelt gesagt: Ich verstehe mich hervorragend auf Verhöre: Kaum zu glauben, was für eine Macht eine warme Stimme hat, die durch die Dunkelheit zu einem spricht.
    Damals hatte James erstmals eine Ahnung von den Orten bekommen, an welche die »Kartografie« seinen Freund geführt hatte. Dann lasse ich das Licht lieber an , hatte er geantwortet. »Schön, dass du vorbeischaust«, sagte er jetzt.
    Seine Bemerkung brach den Bann des Schweigens. Sofort schwatzten Stimmen aus allen Richtungen los: Wettsieger, die nach ihren Gewinnen schrien, vormalige Anhänger des Iren, die seinen Namen verfluchten. Aus den Augenwinkeln nahm James wahr, wie jemand den Bezwungenen in die Rippen trat.
    »Julking-Zeit!«, schrie der Schankwirt, der sich jetzt mit zwei dampfenden Ginkrügen durch die herumschwirrende Menge kämpfte. James nahm sie ihm dankbar ab. Sie stanken schlimmer als Terpentin, gingen aber runter wie Wasser.
    Phin kämpfte sich durch die Meute. »Verdammt gut gemacht«, sagte er ironisch. »Du siehst aus, als hätte dich jemand mit dem Poloschläger bearbeitet.«
    In James’ Kiefer machte sich ein Pochen bemerkbar. Er fühlte mit der Zunge danach. Die Innenseite seiner Wange war eingerissen, doch seine Zähne schienen noch alle intakt zu sein. Er würde vorerst unentstellt weiterleben. »Willst du mich etwa gesund pflegen?«
    »Das übersteigt meine Fähigkeiten. Ich glaube eher, dein Gehirn hat einen Schlag abbekommen.«
    James hätte nur allzu gern eine Augenbraue hochgezogen, zuckte jedoch schon bei dem Versuch zusammen. »Sei kein Langweiler. Wenn ich mir Predigten anhören will, besuche ich Moreland.«
    »Du lispelst.«
    »Wirklich? Ich weiß genau das richtige Mittel dagegen.« Er gab dem Schankwirt ein Zeichen. An der Theke reihten schon die Vogelliebhaber ihre Weidenkäfige auf. Es war am besten, seine nächste Bestellung aufzugeben, bevor der Wettkampf begann. »Noch ein Glas von Ihrem besten Rachenputzer, Sir. Phin, leistest du mir Gesellschaft? Die Vögel heute Abend sehen sehr vielversprechend aus. Ich habe einen deutschen Kanarienvogel darunter entdeckt.«
    »Nein, danke. Ich trinke meinen Alkohol lieber kalt.«
    »Klar.

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