Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
Vom Netzwerk:
Boyce, da ist ein netter kleiner Balkon, auf den Sie springen können.«
    Mit jeder Sekunde wurde das Pfeifen lauter. Die Versuchung, Sanburne allein loszuschicken, war groß. Eine Frau würde Reggie doch sicher nicht umbringen?
    Ein grober Stoß in den Rücken ließ sie vorwärtsstolpern. »Beeilung«, schnaufte Mrs Ogilvie ihr ins Ohr. »Gott segne Sie, Miss, Beeilung!«
    Und dann packte Sanburne sie an der Taille und hob sie nach draußen an die milde Frühlingsluft.
    Sie blickte nach unten, zuckte zurück und stolperte direkt in seine Arme. Die Kinder, die das Knochenspiel spielten, sahen aus dieser Höhe winzig aus.
    »Tun Sie das nicht«, sagte er sanft und stieg hinter ihr aufs Dach.
    »Was soll ich nicht?«
    »Sehen Sie lieber hierhin.« Er nahm ihre Hand und legte sie fest auf den Fensterrahmen. »Gehen Sie einfach nach rechts. Ich bin gleich hinter Ihnen. Kommen Sie, Miss Boyce, das ist ein Abenteuer.«
    Ihre Knie zitterten so stark, dass sie sich fragte, ob sie sie tragen würden. Sie schlängelte sich an dem schmalen Gesims entlang – man konnte es beim besten Willen nicht als etwas so Gediegenes bezeichnen wie einen Balkon – bis zu dem Punkt, wo das Dachfenster endete und das Flachdach begann. Sie atmete tief durch, setzte den Fuß darauf und ließ sich prompt auf Hände und Knie fallen, um weiter vor bis zu einer Stelle zu kriechen, die sich in sicherer Entfernung zur Dachtraufe befand. Sie drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie Sanburne ebenfalls das Schieferdach betrat. Hinter seinem Kopf erstreckte sich ein Meer aus Dächern: Gauben mit gesprungenen Fensterscheiben, Schornsteine, die merkwürdig schief vor einem gewaltigen und leeren Himmel balancierten.
    Sie rutschte seitlich an eine Gaube heran. Ein Abenteuer, durchaus . Menschliche Wesen waren nicht dazu bestimmt, einen solchen Ausblick zu haben. »Das Dach wird unter unserem Gewicht zusammenbrechen.«
    Sanburne ließ sich neben ihr nieder. »Es ist stabil genug für einen Elefanten, Miss Boyce. Was für ein Ausblick!«
    Sie konnte ihm nicht beipflichten. Der Blick über die Stadt löste ein eigenartiges Gefühl in ihr aus. Er erinnerte sie an ein Spiel, das sie einmal in The Strand zum Verkauf gesehen hatte, ein bewegliches Modell des Londoner West End mit kleinen Brücken, Palästen und Häusern sowie einer Miniaturausgabe des Buckingham Palace und winzigen Kutschen, die man über die filigran gemalten Wege des Hyde Park schieben konnte. Doch dieses Elendsviertel hatte das Spiel ausgespart. So viele eng zusammengedrängte, baufällige Häuser. Sie hatte keine Ahnung, wie die Straßen hier in der Gegend hießen. Auch die Tausenden von Menschen, die hier hausten, hätten ebenso gut nicht existieren können, so wenig wusste sie von ihnen. Sie befanden sich hier zwar im Herzen Londons, doch für sie hätte es genauso gut Ägypten sein können. »Mrs Ogilvie kommt sicher nicht hier hoch, um nach den Sternen zu sehen«, murmelte sie. Beim Anblick dieses dunklen, unübersichtlichen Stadtgebiets musste ihr ihre Dachkammer wie der reinste Palast vorkommen – wie ein Bollwerk gegen die Flut aus Armut, die sich vor ihnen ausbreitete.
    »Nein«, stimmte ihr Sanburne leise zu. »Das glaube ich auch nicht.«
    »Das ist nicht gerecht«, setzte sie an und verstummte sofort wieder. Es war eine kindische Bemerkung, und er würde sie fraglos dafür auslachen.
    Sein Haar streifte ihre Wange, als er den Kopf zu ihr wandte. Sein Atem wärmte ihren Hals, als er sprach. »Sie sehen wütend aus«, bemerkte er. »Hoffentlich nicht auf mich.«
    »Ich bin nicht wütend«, gab sie steif zurück. Sie war verlegen, wenn ihr der Grund dafür auch schleierhaft war. »Ich verstehe nur nicht, warum wir aus dem Fenster klettern mussten.«
    »Vorschrift der Gastgeberin, Schätzchen. Es wäre schlechtes Benehmen, sich mit ihrem Mann zu prügeln.«
    Ihr Blick fiel auf eine Taube. Sie hätte nie erwartet, dass sie einmal eine solche Kreatur beneiden würde, doch ihr souveränes Hüpfen über die Dachschindeln löste in ihr den dringlichen Wunsch nach dem Luxus aus, Flügel zu haben. »Ich habe Höhenangst.«
    »Ich würde Ihnen ja versichern, dass ich Sie nicht fallen lasse«, sagte er. »Aber vielleicht sollte ich das lieber nicht.«
    »Ich hoffe, das soll nicht heißen, dass Sie mich herunterschubsen wollen!«
    »Das heißt, dass Angst ihre eigenen Freuden mit sich bringt.«
    Sie warf ihm einen irritierten Seitenblick zu, doch auf diesen Unfug fiel ihr beim

Weitere Kostenlose Bücher