Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)
Campbell, ein dicker Mann mit fröhlichem Gesicht, der mit einem leisen Lächeln den Blick über das Parkett schweifen ließ und einmal nickte, um das Johlen seiner Bewunderer zu würdigen. Dann setzte er kurzerhand zu einem mitreißenden Lied über die Raubzüge der Aristokratie an.
Hinter James stieß Dalton einen Fluch aus. Drei Stockwerke über dem einfachen Publikum genügten ihm nicht als Sicherheitsabstand, und er machte Anstalten, seine diamantbesetzten Manschettenknöpfe abzulegen. »Ich hätte niemals direkt von diesem Dinner hierherkommen dürfen«, murmelte er. »Kein guter Abend, um hier im Frack aufzukreuzen.«
»Ha! Angst vor ein paar Iren?« Das kam von Tilney, der sich auf dem Sessel neben Dalton ausgestreckt hatte und seine Stiefel auf die Logenbrüstung gelegt hatte. Er hielt eine rothaarige Balletttänzerin im Arm, die er in der Pause aufgetan hatte, während sie durch die Wandelhalle geschlendert war, und die jetzt mit ihren großen braunen Augen die Diamanten fixierte.
James stupste Dalton mit der Schulter an und deutete mit dem Kinn auf das Mädchen.
»Die funkeln aber«, staunte sie leise.
»Gefallen sie dir, Schätzchen?« Dalton ließ sie in ihre hohlen Hände fallen und wandte sich an James: »Wo bleibt der Kellner? Ich könnte noch ein Glas gebrauchen.«
»Ich gehe«, antwortete James. Er hatte seit dem Abendessen pausenlos getrunken, war aber immer noch niedergeschlagen und zu Tode gelangweilt. Trotz des vielen Alkohols konnte er zu seinem Verdruss immer noch klar und deutlich sehen. Da konnte er sich genauso gut noch mehr Mühe geben.
»So macht man sich nützlich«, sagte Dalton anerkennend. »Nimm’s zur Kenntnis, Ashmore.«
Vorbei an Phins regloser Gestalt, verzog sich James nach draußen in den stickigen kleinen Flur, der um den ersten Rang herumführte. Die Wände hier waren mit weinrotem Samt bezogen, und Laternen, die alle paar Schritte an die Wand montiert waren, warfen kleine Kreise aus Licht. Die Besitzer hatten sich mit der angeblichen Brandsicherheit des Gebäudes gebrüstet. Doch in diesem abgeschiedenen kleinen Raum roch die Luft verbrannt, als wären die elektrischen Leitungen über Kreuz verlegt worden.
Eigentlich hatte er vorgehabt, rasch nach unten ins Foyer zu gehen, wo die Inhaber der billigeren Eintrittskarten ihren Gin kauften. Stattdessen blieb er bewegungslos stehen, stützte sich auf beiden Seiten mit den Händen an der weichen Oberfläche der Wände ab und fixierte den Punkt, wo der Flur einen Bogen in die Dunkelheit schlug. Im Gegensatz zur kitschigen maurischen Bauweise des Theaters selbst, in dem jede sich bietende leere Stelle vor Goldfarbe und Spiegeln funkelte, welche die Blicke auf sich ziehen sollten, hatte dieser Raum hier etwas Ansprechendes. Seine Schlichtheit, seine Stille bewirkten etwas in ihm. Eine Ruhe – eine Art Leere vermutlich. Dies war der perfekte Ort für Langeweile. Und Himmel, war er gelangweilt!
Lydia Boyce kam ihm in den Sinn. Sie war wie ein Refrain, der ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Als er sich bewusst auf sie konzentrierte, wurde ihm klar, dass seine Gedanken schon den ganzen Abend immer wieder zu ihr geschweift waren. Es war jetzt eine Woche her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Nicht auf dem Gartenfest der Spencers, nicht bei Elmores Abendgesellschaft, nicht einmal beim Hauskonzert der Mowbrays. Warum zum Teufel hatte er solch idiotische Veranstaltungen besucht? Um sie dort zufällig zu treffen? Diese Möglichkeit sollte ihn nicht beunruhigen. Er war durchaus in der Stimmung, von ihr heruntergeputzt zu werden, in einem dunklen Flur von ihr die Leviten gelesen zu bekommen, sie noch ein weiteres Mal zu küssen und andere Dinge mehr. Er hatte mit großem Eifer auf ihr Erscheinen gewartet. Er könnte sie zur Genüge unterhalten, daran hatte er keinerlei Zweifel. Doch es schien, als würde sie sich selbst Unterhaltung verschaffen. Sie stattete beispielsweise den Pateshalls in den Chiltern Hills einen Besuch ab, doch das wusste er nur, weil Elizabeth übers Wochenende ebenfalls dort hingefahren war. In dem Brief, der ihn heute Vormittag erreicht hatte, erwähnte sie, wie still seine »Nemesis« bei Tisch saß.
Still? Die Beschreibung bereitete ihm Unbehagen. Das passte nicht zu dem, was er von Lydia wusste. Er hätte gedacht, dass sie ihn eventuell erwähnen würde, und sei es nur in Form einer trockenen, sarkastischen Bemerkung.
Aber vielleicht auch nicht. Welchen Grund hatte er ihr schon gegeben, seinen
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