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Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition)

Titel: Rühr nicht an mein dunkles Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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merkwürdig. Noch merkwürdiger, mit den Steinsplittern ein sonderbares Mitleid zu empfinden. Sie hatte sich immer als Papas Fels in der Brandung gesehen, als unerschütterlich loyal ihm gegenüber. Nun fand sie heraus, dass es anders war, und es hatte sie aufgewühlt. Sie zitterte, und Sanburnes Arme umfassten sie fester. Er wusste es. Irgendwie wusste er es. Zum Glück sagte er nichts.
    Ich könnte ihm die Schuld geben , dachte sie. Weil er mir Flöhe ins Ohr gesetzt hat. Aber er hatte gesagt: Sie müssen das nicht tun . Und vielleicht hatte er damit etwas anderes gemeint, was er aber nicht sagen konnte (denn sie hätte ihn weder verstanden noch ihm geglaubt): Sie sollten das nicht tun. Schließlich wusste er so einiges über die Liebe, was sie nicht kannte. Er wusste, wie es sich anfühlte, jemanden zu enttäuschen, der kostbar für einen war. Vielleicht hatte er ihr das ersparen wollen.
    Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr auf: Wehmut, Dankbarkeit und Euphorie, alles in einem. Sie hatte keinen Fehler begangen, ihm zu vertrauen, oder? Spontan drehte sie sich auf den Knien zu ihm um. Sie legte die Hand an seine Wange, ihren Daumen auf seinen schönen Mund, ihren Zeigefinger an den Winkel seiner so klaren Augen. Ein Fremder hätte die Düsternis hinter ihnen nie erahnen können. Doch sie war jetzt keine Fremde mehr für ihn. Ich könnte ihn lieben, dachte sie. Stattdessen sagte sie: »Danke.« Und dann küsste sie ihn.
    Er war verdutzt. Er brauchte einen Moment, bis er ihren Kuss erwiderte. Dann murmelte er eine Einwilligung und ließ seine Hand um ihren Nacken gleiten. Sein Mund schmeckte noch immer leicht nach Gin, was ihr durch eine merkwürdige Alchemie auf einmal köstlich erschien. Sie rieb ihre Zunge an seiner und gab einen leisen Laut von sich, als er sich von ihr löste und sie aufs Kinn, auf den Hals, in die Schulterbeuge küsste. Das Personal, dachte sie vage und gestattete sich noch einen letzten lustvollen Augenblick, bevor sie sich ihm entzog. Als er nach ihr griff, sagte sie: »Man wird uns noch sehen.«
    Sie rechnete schon damit, dass er diese Sorge nicht ernst nahm. Doch er zögerte, nickte und warf einen besorgten Blick zur Tür, während er sich erhob. Diese plötzliche Sorge um Schicklichkeit irritierte sie. Tja. Es schien, als erforderte Southertons Haus mehr Vorsicht als den Schutz durch ein reines Dach. Und warum auch nicht? Wenn er hier beim Küssen mit ihr ertappt wurde, könnte er gezwungen werden, ihr einen Antrag zu machen.
    Als sie ihn, beunruhigt über ihre Verstimmung, in die Halle geleitete, fragte sie sich zum ersten Mal, warum er nicht verheiratet war. Sie hatte ihn im genealogischen Handbuch des Adels nachgeschlagen (und sich dabei die ganze Zeit selbst verspottet). Er war immerhin schon dreißig, und die Grafschaft würde einen Erben brauchen …
    Aber genau das war der Grund, daran hatte sie keinen Zweifel. Mit seinem Junggesellendasein hatte er eine weitere Methode gefunden, seinen Vater zu treffen. Als sie an dem langen Spiegel am Fuße der Treppe vorbeikamen, sah sie das bittere Lächeln auf ihren Lippen. Sie hatte einmal mehr Luftschlösser gebaut. Dabei war Sanburne sehr ehrlich zu ihr gewesen. Ihm fehlte nicht nur ein festes Fundament, sondern er hatte sich auch noch Mühe gegeben, seine Eckpfeiler zu zerstören. Denn wie das Unterfangen, sich ihren Respekt zu verdienen, würden auch diese Dinge seine ganze Routine durcheinanderbringen. Demnach mussten die Gerüchte über seine Verlobung mit Mrs Chudderley für ihn ebenso praktisch sein wie für die Lady selbst.
    Als er an der Tür seinen Hut aufsetzte und sich die Handschuhe überstreifte, dankte sie ihm erneut für seine Hilfe. Er klappte den Mund auf, um zu antworten, überlegte es sich mit einem Blick auf den Butler jedoch anders. Mit einer Verbeugung und einer leeren, wohlerzogenen Floskel verabschiedete er sich.
    Als sie ihm nachsah, musste sie an sein Verhalten im Korridor seines Vaters denken. Damals war ihm gleichgültig gewesen, wer sie hätte sehen können. Er musste sie inzwischen sehr gern haben, wenn er die Situation vermeiden wollte, ihr in aller Öffentlichkeit einen Korb geben zu müssen. Denn eine andere Wahl bliebe ihm nicht. Mein Vater hält Sie für sehr vernünftig . Wäre sie ein ordinäres Flittchen gewesen, hätte sie vielleicht eine Chance gehabt.
    Als sie sich anschickte, die Treppe hinaufzusteigen, staunte sie, wie sonderbar das alles war. Noch vor einem Monat hätte sie sich nicht vorstellen

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