Rütlischwur
Sachen?«
»Die Spitex, spinnst du?«
Eschenbach hörte, wie Lenz die Tür zum Garten öffnete. Als der Kommissar mit den beiden Tellern, mit Besteck und Servietten nach draußen kam, war der Tisch unter der Laube bereits mit einem Papiertischtuch gedeckt. Auf der verwitterten Holzbank lagen zwei rotweiß karierte Kissen – und Lenz saß dort, etwas vornübergebeugt mit einem Bleistift in der Hand.
»Stell die Teller hierhin und setz dich«, sagte Lenz. Er winkte den Kommissar zu sich. »Ich habe nie eine Agenda geführt, das weißt du ja. Drum hab ich das jetzt mal hier drauf skizziert … die zweieinhalb Wochen, seit du aus Kanada zurück bist. Und darüber unterhalten wir uns jetzt.«
Eschenbach setzte sich neben Lenz auf die Bank.
»An diesem Wochenende bist du aus Kanada zurückgekommen, das ist gesicherte Tatsache. Am Montag dein Krach mit Regierungsrätin Sacher, am nächsten Morgen dein erster Arbeitstag bei Duprey. Der Mord an Banz noch in derselben Woche: in der Nacht von Freitag auf Samstag.«
Lenz trug die Ereignisse im Kalender ein. »Eine kurze Bankenkarriere war das, mein Lieber.«
Lenz kaute einen Moment am Bleistift, dann fuhr er fort: »In der Mordnacht wirst du über den Haufen gefahren … Diese Judith nimmt dich mit ins Kloster. Dann knapp eine Woche Rekonvaleszenz … mit Erinnerungslücken, was den Unfall betrifft.« Lenz verband die Kalendertage der zweiten Woche mit einem Strich. »Am Freitag tauchst du dann plötzlich bei der Abdankungsfeier im Grossmünster auf. Zusammen mit Jagmetti.«
Eschenbach nickte.
»Wer hat eigentlich den auf den Plan gerufen?«, wollte Lenz wissen.
»Nach den Untersuchungen war ich so fix und fertig … Also, da hab ich John mein Handy gegeben. Er hat Claudio benachrichtigt.«
»Dein Hirn läuft ja wieder auf Hochtouren.«
»Tatsächlich?«
»Tu nicht so«, schnauzte Lenz. »Du erinnerst dich ganz genau. Dich wundert nur, weshalb ich das alles weiß.«
»Ich hab mich immer gewundert, das ist wahr.« Eschenbach fuhr sich mit der Hand durch den Bart und lächelte. »Die ganzen Jahre über war es mir immer ein großes Mysterium gewesen, woher du deine Informationen hattest. Und ich habe dich nie dazu gedrängt, deine Quellen preiszugeben. Frei nach der Regel: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.«
»Tja.«
»Aber dieses Mal weiß ich es.«
Lenz’ Schnurrbart zitterte für einen kurzen Moment. »Also, was deine Gespräche mit Banz angeht …«, der Alte machte drei Kreise, verteilt auf die Woche, in der Eschenbach bei Duprey gearbeitet hatte. »Das letzte Gespräch, ein Arbeitslunch, war hier … Später dann, in der Nacht, starb Banz.«
Eschenbach nickte. »Rosa. Warum kannst du nicht wenigstens zugeben, dass du die ganzen Informationen von ihr … Das ist doch das alte Lied. Du sprichst nie über Privates … über Dinge, die mit dir zu tun haben!«
»Gab es Treffen mit Banz, von denen Rosa nichts wusste?«
»Rosa und du … Da läuft doch was, das merk ja sogar ich.«
»Nichts weißt du … und bevor du falsche Gerüchte ins Leben rufst.« Lenz holte tief Luft: »Es ist überhaupt nichts zwischen uns, verstehst du? Rein – gar – nichts!«
»Aber ihr sprecht immerhin miteinander?«
»Ja, aber nur das.« Lenz bemerkte plötzlich, dass er einen Donnerstag seines selbstgemalten Kalenders wüst mit Kreisen, Quadraten und Sternen verunstaltet hatte. »Und du wirst lachen, wenn wir über etwas sprechen, dann bist meistens du das Thema.«
In den folgenden zehn Minuten aßen sie das Vitello tonnato, das – ohne dass noch der leiseste Zweifel bestand – von Rosa wirklich vorzüglich zubereitet worden war. Eschenbach gab sich Mühe, seine Gedanken für sich zu behalten. Warum sollte ein Vierteljahrhundert Altersunterschied plötzlich eine Rolle spielen? Da war Rosa, die das Leben noch vor sich hatte, und Ewald, der bis vor kurzem froh gewesen wäre, es bald hinter sich zu haben.
Der Kommissar stellte sich vor, wie Lenz berühmte alte Männer ins Feld führen würde: Picasso, Chaplin … Beispiele also, die immer dann Erwähnung fanden, wenn das Paarungsverhalten entweder pathologische Züge aufwies oder beidseitig eine Verzweiflungstat vorlag.
Ihm müsste jetzt endlich eine Frage einfallen, die nichts mit alledem zu tun hatte, dachte der Kommissar. Irgendetwas, das mit dem Fall zu tun hatte, mit Judith und Jakob Banz und nichts mit dem, der ihm im Kopf herumspukte: mit dem betagten Romeo und seiner (zwar nicht mehr
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