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Rütlischwur

Rütlischwur

Titel: Rütlischwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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blutjungen, aber dennoch viel zu jungen) Julia.
    Warum haben diese Geschichten eine solche Anziehungskraft?
    Es sind erwachsene Menschen, mein Lieber, gab er sich selbst zur Antwort.
    »Wir sind beide erwachsen«, sagte Lenz, der neuerdings scheinbar Gedanken lesen konnte. »Wir wissen schon selbst, was wir zu tun haben.«
    »Eben.«
    »Erzähl mir lieber etwas von dieser Bank, in der du gearbeitet hast. Das interessiert mich.«
    »Duprey?«
    »Du warst ja in keiner anderen.«
    Mühsam begab sich Eschenbach in Gedanken zurück an jenen Ort an der Rämistrasse und stocherte in seiner Erinnerung nach den Erkenntnissen (wenn es denn wirklich welche gewesen waren): »Um es ganz kurz zu machen, Ewald: Ich glaube, es bröselt dort.«
    »Es bröselt?« Lenz zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Was ist denn das wieder für eine Aussage! Du meinst, die verlieren Geld?«
    »Das auch. Aber ich glaube, es steckt mehr dahinter. Gestern, als ich mit der Bruderschaft in Einsiedeln gesungen habe, da ist etwas Eigenartiges mit mir geschehen. Ich bin ja ziemlich angeschlagen gewesen, nach dem Unfall. Aber als ich da inmitten der Mönche gestanden habe und sich ein Ton zum anderen gefügt hat … also, ich hab da zum ersten Mal seit meinem Unfall eine Lebenskraft in mir verspürt … Ich hätte Bäume ausreißen können.«
    Lenz nickte. »Das gibt’s.«
    Eschenbach hätte schwören können, dass der Alte in diesem Moment an Rosa dachte.
    »Und da ist mir der Unterschied klargeworden zwischen Klingen und Bröseln. Zwischen Leben und Tod. Ich bin mir sicher, Ewald, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Duprey geschlossen wird. Keine Pleite, die in den Medien große Wellen schlägt, sondern geordneter Rückzug. Von langer Hand geplant. Frag mich nicht, weshalb, ich habe keine Ahnung.«
    »Dann müssen wir das herausfinden.«
    Eschenbach zog einen zusammengefalteten Stapel mit Blättern aus der Jackentasche. »John und ich haben diese Unterlagen in Judiths Zimmer entdeckt. Es sind Dinge, die vermutlich zusammenhängen. Zum einen sind es Informationen zu Hawala, einem papierlosen Bankensystem; zum andern ist es eine Liste von Namen. John meinte, es wären die Namen der Propheten.«
    »Hawala kenne ich«, sagte Lenz. »Von den Abläufen her funktioniert’s ähnlich wie ein in feindlichem Gebiet operierender Geheimdienst.«
    »Ein was?«
    »Eine Untergrundbewegung … zum Beispiel die Résistance in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs. Das war so eine Organisation. Das Besondere an solchen Strukturen ist, dass sie aus kleinen Zellen bestehen, von der keine Kenntnis hat über die wahre Identität der anderen.«
    »Ich versteh schon«, sagte Eschenbach. »Wenn jemand auffliegt, ist der Schaden begrenzt, weil niemand, selbst unter Folter, sagen kann, wer dazugehört und wer nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, die heutigen multinationalen Unternehmen funktionieren auf ähnliche Weise.«
    »Hast du sonst noch irgendwelche Unterlagen?«
    »Einen Geschäftsbericht … Allgemeine Daten zur Bank halt. Zur Aktionärsstruktur … Wer im Verwaltungsrat sitzt. Das Übliche. Da ist nichts Besonderes dabei.«
    Eschenbach gab Lenz die Papiere.
    »Und das lag alles beisammen … im Zimmer dieser Judith?«
    Eschenbach nickte.
    »Die Propheten könnten als Decknamen für die Agenten fungieren«, murmelte Lenz, der mit nachdenklicher Miene die Unterlagen durchging. »Das wäre eine einfache Erklärung fürs Ganze.«
    »Einfache Erklärungen sind nie schlecht. Aber warum gerade Propheten?«
    »Propheten …« Lenz seufzte, so als läge auf ihm die Last, nun selbst eine Prophezeiung zu leisten. »Ich hab mir den Jeremias von Michelangelo angesehen, erst kürzlich, in der Sixtinischen Kapelle … und ich finde, der schaut nicht sehend nach vorne. Dieser Jeremias, der hockt da … deprimiert, würde man heute sagen, und blickt in sich hinein, als hätte ihn etwas aus der Vergangenheit eingeholt. Etwas, das mit ihm selbst zu tun hat.«
    »Alles hat immer mit einem selbst zu tun.«
    »Halte davon, was du willst«, sagte Lenz, dem der etwas spöttische Unterton in Eschenbachs Bemerkung nicht entgangen war. »Wir haben es ja nicht mit Propheten zu tun, sondern mit Leuten, die im Alten Testament lesen und sich solche Namen aussuchen. Und bei dieser Spezies, das ist ja beinahe selbstredend … Also bei denen spielt die Vergangenheit offenbar eine wichtige Rolle.«
    »Der Rütlirapport«, sagte Eschenbach spontan. »Wenn es etwas gab, aus

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