Ruf der Daemmerung
Viola selbst machte sich allerdings Sorgen. Bei Hank und Co. würde das Verhalten des Neuen nicht ankommen. Er fiel jetzt schon auf, und das hatte sie eigentlich vermeiden wollen. Hoffentlich kam es beim Sport am Nachmittag nicht zum völligen Eklat!
Wie fast immer im Sportunterricht ging es auch diesmal wieder um den irischen Nationalsport. Demnächst standen Schulwettkämpfe an und es wurde ernst mit der Auswahl der Mannschaft.
Viola hätte an diesem Tag eigentlich mit der Mädchenmannschaft Bälle schlagen müssen, aber sie entschuldigte sich mit Bauchschmerzen und wanderte zu den Jungen hinüber, um zuzusehen, wie Ahi zurechtkam. Shawna tat es ihr besorgt nach, was ein Opfer war. Viola hatte keine Chance, in die Schulmannschaft aufgenommen zu werden, aber für Shawna konnte ihr Abschneiden irgendwann über ein Universitätsstipendium entscheiden. Sie zeigte deshalb meist Kampfgeist, obwohl sie das Spiel nicht wirklich mochte. Raufereien um einen winzigen Lederball lagen ihr fern.
Auch Ahi schaute zunächst eher verblüfft auf das Treiben auf dem Spielfeld. Die Jungs lieferten sich schon vor dem offiziellen Beginn der Stunde ein lebhaftes Gefecht zum Warmwerden. Dann erst kam der Trainer und begrüßte den Neuen.
»Ich nehme nicht an, dass du schon mal Hurling gespielt hast, oder?«, fragte er, freundlich, aber leicht resigniert. Einen Neuling einzuführen, würde ihn aufhalten - und dabei fiel es den Roundwood Cougars ohnehin schwer, sich gegen die anderen Mannschaften aus Wicklow und erst recht aus den Countys Cork und Killarney zu behaupten.
Ahi schüttelte natürlich den Kopf.
»Irgendwelche anderen Ballsportarten? Baseball? Hockey? - Soccer?«
Bei Erwähnung des englischen Fußballspiels grölten und pfiffen die Jungs unwillig. Insgeheim mochten sie durchaus Fans der bekannten englischen Mannschaften sein, aber hier bewiesen sie Nationalstolz. In Irland spielte man Hurling!
Der Trainer seufzte allerdings, als Alistair auch keine andersartigen Spielerfahrungen aufweisen konnte.
Mühsam begann er zu erklären. »Also, Junge, im Grunde ist es nicht schwer: Hier hast du einen Schläger, man nennt ihn Hurley. Damit schlägst du den Ball ins gegnerische Tor. Du darfst ihn auch fangen und maximal vier Schritte tragen oder mit der Hand weiterschlagen. Aber nicht werfen! Wie du siehst, sind die Pfosten des Tors ziemlich hoch. Die Querstange liegt auf zwei Meter fünfzig. Wenn du richtig ins Tor triffst, dann gibt es drei Punkte. Wenn du drüber triffst, nur einen. Verstanden?«
»Warum?«, fragte Ahi.
Der Trainer sah ihn irritiert an. »Warum was? Die unterschiedliche Punktzahl? Na ja, es ist einfach leichter, den Ball über die Stange ...«
»Warum macht man das?«, erkundigte sich Ahi noch einmal. »Das Ganze?«
»Warum man - hm - Hurling spielt?«, fragte der Trainer verblüfft. »Mensch Junge, warum spielt man Fußball? Oder Basketball oder ...«
»Ja?« Ahi war ehrlich interessiert und erwartete wohl eine umfassende Erklärung dafür, warum Menschen Bälle in Tore schlugen.
Der Trainer blickte inzwischen argwöhnisch - und selbst Shawna runzelte die Stirn. Viola suchte verzweifelt nach irgendeiner schnellen Erklärung, die in das Weltbild des Kelpies passte.
»Ali, es gehört einfach ... zum ... Sein«, versuchte sie es schließlich. »Man bildet Mannschaften. Es ist wie ... als ob man zusammen singt.«
Der Trainer verzog nun ernstlich das Gesicht, während die Jungs teilweise laut lachten.
»Wir sind schon lauter Chorknaben!«, höhnte Hank und die anderen grölten eine stark gewöhnungsbedürftige Version von The Fields of Athenry.
Shawna fügte mit sanfter Stimme hinzu, dass Hurling durchaus Ausdruck der nationalen Identität der Iren sei.
Ahi dachte über Violas Worte nach und nickte dann. »Gut, dann mache ich es eben«, erklärte er. »Darf ich es erst einmal allein versuchen? Also diesen Sliotar auf dem Hurley balancieren?«
Ahi hatte sich die Namen der Spielgeräte sofort gemerkt und griff ganz ernsthaft nach dem Schläger, während die Jungs um ihn herum feixten und der Trainer sich das Grinsen kaum verkneifen konnte. Hank hatte den Ball vorhin aus purer Angeberei ein paar Meter weit auf dem Schläger getragen - eine Technik, die viel Geschick und jahrelanges Training erforderte und am ehesten dem Balancieren eines Eis auf einem Löffel glich. Anfänger brauchten meist Wochen, bevor es ihnen überhaupt gelang, den Ball gezielt mit dem Schläger aufzufangen und weiterzuschlagen. Viola
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