Ruf der Daemmerung
»Wenn du gegen die Jungs von Hank auch nur einen Punkt machst - egal wie begabt du ja offensichtlich bist -, dann heiß ich Bonzi!«
Mikes Bemerkung erntete allgemeines Gelächter. Bonzi O'Brien war der Name des Mannschaftsmaskottchens - eines grün gewandeten Kobolds.
Ahi verstand den Witz offensichtlich nicht, mochte aber auch nicht nachfragen. Er schien inzwischen begriffen zu haben, dass es nichts Wünschenswertes war, wenn die Jungs über ihn lachten.
Viola verfolgte mit klopfendem Herzen, wie er sich jetzt auf den Platz im hinteren Feld begab, den Mike ihm angewiesen hatte. Keine sehr wichtige Position - die Jungs hatten zwar verblüfft zugesehen, wie Alistair im Vorfeld seine Ausnahmebegabung bewies, aber dies hier war der Ernstfall. Im Spiel entschied nicht nur Geschick, sondern auch Kraft und Körpergröße. Und was dies anging, würde Hank den zwar großen, aber eher schmächtigen Neuen einfach überrennen. Viola hatte so etwas schon oft miterlebt und die Opfer dann mit Platzwunden oder hinkend vom Feld wanken sehen. Jungs, die das Spiel kannten! Ahi dagegen würde der Gewalt völlig arglos ausgeliefert sein. Sie begann, sich um ihn zu sorgen, und sah sich Hilfe suchend nach dem Trainer um. Der lachte jedoch mit über Mikes Scherz - und brannte wahrscheinlich darauf, zu sehen, wie der Neue sich schlug.
Ahi sorgte jedoch erneut für eine Überraschung. Er war zweifellos kein Kämpfer, aber er erwies sich als unglaublich schnell. Während Hank und Mike versuchten, sich den Ball gegenseitig abzujagen, überholte der Neue mühelos die ganze Gruppe, ergriff die erste Chance, den Ball an sich zu bringen, als einer der Jungs ihn ziellos aus dem Gewimmel in der Mitte des Spielfelds herausschlug, und balancierte ihn locker in Richtung Tor. Natürlich stürzte sich gleich ein gegnerischer Stürmer auf ihn, woraufhin Ahi den Ball in hohem Bogen in die Luft schoss, sich unter dem Angriff des Gegners wegduckte und so blitzschnell an ihm vorbei war, dass er den Ball an der Stelle wieder aufnahm, wo er hinunterkam. Diesmal fing er ihn mit den Händen, behielt ihn aber nur die vorgeschriebenen vier Schritte lang - wobei er diese Schritte zu fliegen schien! - und wirbelte ihn dann mit einem gewaltigen Schlag Richtung Tor. Der Torwart war völlig machtlos, er sprang dem Ball hinterher, aber Ahis Schuss unterlief die Querstange mit einem Abstand von nur wenigen Millimetern. Lediglich ein Känguru hätte ihn erreichen können.
»Das war doch jetzt richtig, oder?«, fragte Ahi den sprachlosen Mike. »Bonzi?«
Viola und Shawna kriegten sich noch eine Stunde später vor Lachen kaum ein - obwohl es sicherlich nicht klug gewesen war, beim ersten Auftreten in der Hurling-Mannschaft zunächst das gesamte Spiel an sich zu reißen und dann den Kapitän zu blamieren. Aber Ahis Frage war so unschuldig und arglos erfolgt, und Mike hatte so unendlich dämlich geguckt, als der Neue das Tor schoss. Die Mädchen konnten sich einfach nicht beherrschen.
»Er wollte doch so genannt werden ...«, wunderte sich Ahi auch jetzt noch. »Ich wollte ihn nicht beleidigen ... Am besten schenke ich ihm morgen etwas, damit er es mir nicht übel nimmt.«
Viola seufzte. Das würde sie ihm noch ausreden müssen - wenn Ahi dem Ober-Raufbold der Roundwood Cougars morgen einen Schmuckstein verehrte, dürfte das nicht zu seiner Anerkennung in der Mannschaft beitragen.
»Lad ihn irgendwann zu einem Bier ein«, meinte Shawna. »Aber ich fürchte, das nutzt auch nicht viel. Die ganze Mannschaft hat sich über ihn totgelacht - das vergisst er nicht so schnell. Und bei den anderen hast du dich auch nicht beliebt gemacht, Ali. Nach deinem Auftritt kommt der Trainer nicht an dir vorbei. Du wirst zwar noch etwas am ... hm ... Verständnis der Regeln arbeiten müssen, aber einen Platz in der Schulmannschaft hast du sicher. Dafür muss ein anderer zurückstecken. Das wird ihnen nicht gefallen.«
13
Im Schulbus auf der Rückfahrt herrschte folgerichtig eisiges Schweigen in den Reihen der Jungen. Ansonsten war der Nachmittag für Ahi ganz gut gelaufen. An diesem Tag stand weder Musik noch Gälisch auf dem Stundenplan, aber die Schüler hatten noch zwei Stunden Kunst und Ahi begeisterte sich für die Aquarellfarben, mit denen sie malten. Er hatte zwar vorher noch nie einen Pinsel in der Hand gehabt, aber zu Violas Erleichterung verzichtete er darauf, dies dem Kunstlehrer mitzuteilen. Stattdessen entwarf er ein abstraktes Bild in vielen Blautönen, die
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