Ruf der Dunkelheit
schien Olivia etwas amüsiert über meine Verwirrung, denn ihre Mundwinkel zuckten leicht. „Das warst doch du?“, hakte ich nach, während sie auf mich zutrat, ihr Werk betrachtete und nickte. „Ich habe mich in den letzen Monaten mit den Elementen beschäftigt und herausgefunden, dass fast alle Hexen eins der vier Elemente besonders beherrschen.“
„Dann ist deines wohl das Feuer?“, stellte ich überflüssigerweise fest. Olivia lächelte milde. „Nicht nur meins, es ist das Element meiner ganzen Familie. In den Aufzeichnungen meiner Mutter finden sich Hinweise darauf, dass alle meine Vorfahren mit dem Feuer auf eine ganz besondere Art verbunden waren und“ Sie sog geräuschvoll Luft ein, ehe sie weitersprach. „Michael beherrscht es wie niemand sonst aus meiner Familie.“
Ich runzelte die Stirn. „Wie kommt es, dass alle Hexen verschiedene Elemente beherrschen?“ Olivia schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht. Michael ist der Meinung, dass die Gabe durch ein bestimmtes Ereignis übertragen wird. Aber er sucht auch immer nach logischen Erklärungen für alles.“ Während sie über ihren Bruder sprach, wurden ihre Gesichtszüge ganz sanft und in ihren Augen glänzte ein Fünkchen von Stolz. Man merkte ihr an, dass sie sich für ihn verantwortlich fühlte.
Mein Blick fiel zurück auf den Brandfleck, ehe ich Olivia tief in die Augen sah. „Danke“, raunte ich und stürzte an ihr vorbei, nach oben und begann, eilig ein paar Sachen aus meinem Schrank zu zerren.
Als ich die Treppe hinuntersprang, wartete sie bereits auf mich. „Ich komme mit dir!“, erklärte sie mit einem Blick, der keine Widerworte zuließ. Ich zuckte die Schultern und trat an ihr vorbei. „Das ist ein freies Land“, knurrte ich, ohne sie anzusehen. Zwar war ich ihr dankbar, dass sie mir gezeigt hatte, wo ich Tamara finden konnte, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass sie mich heimtückisch außer Gefecht gesetzt hatte, um Tamara bei ihrem Plan zu helfen.
Ohne mich umzudrehen, schritt ich eilig auf Olivias weißes Hybridfahrzeug zu und schob meine Hand in die Jackentasche, in die ich vorhin den Autoschlüssel gesteckt hatte. Doch zu meiner Verwunderung, griffen meine Finger ins Leere. Ich presste die Lippen zusammen und drehte mich langsam herum. „Suchst du den hier?“ Mit einem übertrieben fröhlichen Strahlen hielt Olivia ihre rechte Hand nach oben, von deren Zeigefinger der Schlüssel baumelte. „Dass du dich hier einfach aus dem Staub machst, kannst du vergessen!“ Sie stapfte, ihren Koffer hinter sich her ziehend, an mir vorbei, klatschte mir den Autoschlüssel in die Hand und machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem, nachdem sie ihr Gepäck verstaut hatte. Ich stand wie angewurzelt da und wunderte mich über so viel Dreistheit. „Nun komm schon, der Flieger wartet nicht auf uns!“, rief sie mir zu und langsam setzte ich mich mit eisiger Miene in Bewegung. „Du brauchst gar nicht so grimmig zu schauen! Ohne mich brauchst du mit Sicherheit viel länger, bis du sie gefunden hast.“ Sie hob die Brauen, während ich neben ihr hinter das Lenkrad glitt und wortlos den Motor startete.
Als wir den Wald verlassen hatten und auf der Hauptstraße Richtung Flughafen fuhren, wandte ich den Kopf zu ihr. „Was macht dich so sicher, dass du sie eher findest?“ Sie bedachte mich mit einem überlegenen Lächeln. „Michael hat sich an die beiden drangehängt und mir eine Nachricht geschickt, wo die beiden sich momentan aufhalten.“ Doch dann erstarb der triumphierende Ausdruck auf ihrem Gesicht plötzlich. „Julian ich muss dir etwas sagen.“
Sofort hatte sie meine volle Aufmerksamkeit. „Was?!“
Sie atmete geräuschvoll ein. „Seit der letzten Nachricht von meinem Bruder sind schon ein paar Stunden vergangen und … er meldet sich nicht mehr. Ich habe schon diverse Male versucht, ihn zu erreichen …“ Und plötzlich wurde mir bewusst, warum sie mir half – sie hatte Sorge, dass nicht nur Tamara und Val, sondern auch Michael etwas zugestoßen war.
Vier Stunden später hing Olivia schlaff in ihrem Sitz; sie hatte sich die Fleecedecke bis ans Kinn gezogen. Wir flogen gerade über den Atlantik und vor dem kleinen Flugzeugfenster war alles tiefschwarz. Die Crew hatte das Licht in der Kabine gedimmt und sich selbst zurückgezogen. Nachtflüge waren meiner Meinung nach die Angenehmsten, so wurde man wenigstens nicht ständig belästigt. Ich lehnte mich nach vorne und betrachtete das schlafende
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