Ruf der Geister (German Edition)
und Joshua saß allein auf den Stufen.
Sieh hin!
*
Joshua jonglierte die Worte des Geistes hin und her. War es überhaupt ein Geist gewesen?
Er sollte hinsehen und konnte es doch nicht, weil das Gesicht des Mörders stets verschleiert war. Auf dem la ngen Weg zu Lea ging er jeden Mord, jede Vision noch einmal genau durch.
Es hatte mit dem Opfer am Duisburger Hauptbahnhof begonnen. Joshua stockte. Nein! Diese Tat war anders gewesen. Da hatte er den Mörder identifizieren können.
„Komm schon, Josh! Du hilfst Erich doch nicht das er ste Mal!“, wies er sich selbst gereizt zurecht.
Das erste Opfer, bei dem Joshua das Gesicht des Mö rders nicht erkennen konnte, war erwürgt in der Zeche Ewald im Malakowturm gefunden worden. Das Nachtmorrgu-Opfer starb in der Nähe einer Baustelle und Joshua gab den Hinweis mit dem Container, aufgrund seines verstörenden Traumes.
Woher kannte er nur dieses Buch? Ja, Mark und er ha tten sich als Kinder vor dieser Kreatur gefürchtet. Doch das Buch war nicht in seinem Besitz und er war sicher, dass auch Marks Eltern so etwas niemals gekauft hätte.
Das dritte Opfer erschien ihm am Berger See, zeigte ihm die grausame Szene ihres Todes. Der Täter blieb nach wie vor unkenntlich.
„Warum sehe ich dich nicht?!“, fragte Joshua viel zu laut.
Eine Passantin wechselte erschrocken die Straßenseite.
„Sieh hin! Aber wie?!“
Erneut ließ Joshua alles Revue passieren und glich das Wenige, was er über den Täter sagen konnte, mit seinem Eindruck von Herrn Krantz ab. Die Puzzleteile schienen aus demselben Spiel zu stammen. Sie passten dennoch nicht richtig zusammen.
Seine Gedanken glitten zum Mord am Berger See. A spekte davon fühlten sich nach wie vor vertraut an.
Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als Joshua in die Straße einbog, die Lea ihm genannt hatte. Sie war mitten in der Innenstadt von Gelsenkirchen-Buer. Suchend glitten seine Augen über die Hausnummern.
„Schickes Viertel“, murmelte er mit einem Lächeln.
Er betätigte den Klingelknopf und stieß die schwere Haustür auf, als das Surren ertönte.
Lea erwartete ihn im Flur. Sie schlang die Arme um ihn. „Ich hab dich vermisst!“
„Und dabei hast du mich doch heute Vormittag schon gesehen.“ Er grinste frech.
Ihre Wohnung erschien ihm gemütlich, unaufgeräumt und modern. Ihre Waffe lag im Halfter auf der Kommode und er entdeckte sofort die Plüschpantoffeln, von denen sie ihm erzählt hatte. Bei ihm selbst beherrschten warme Erdtöne die Wohnung. Hier waren es Frische, Leichtigkeit und Vielfalt. Helle Möbel passten sich geschickt an offene Regale an, die vor Büchern überquollen.
„Entschuldige wegen der Unordnung, ich bin vorhin erst von der Arbeit zurück.“
„Ach, das ist wie nach Hause kommen.“
Lea lächelte, dann stutzte sie und musterte ihn genauer. „Regnet es draußen? Du bist ja ganz durchnässt!“
„Das ist eine längere Geschichte“, wich er aus und verdrängte die Séance mit Ina und den abrupt einsetzenden Nieselregen bei der letzten Geisterbegegnung.
Ohne Vorwarnung küsste Lea ihn. Joshua war ein w enig überrumpelt und lachte leise. Er umfasste ihr Gesicht und ertrank in ihrem Blick. Erneut suchte er ihre Lippen und sie schmiegte sich an ihn. Sie stolperten aus dem Flur und Lea zog ihn zur Wohnzimmercouch. Hastig knöpfte sie ihm das feuchte Hemd auf, strich über seine Brust.
„Du hast mich wirklich vermisst“, bemerkte Joshua atemlos.
„Ja …“
Leas Gegenwart erfüllte sein ganzes Sein. Zwischen ihnen herrschte eine Vertrautheit, wie er sie noch nie zuvor verspürt hatte. Sie holte ihn aus seiner Einsamkeit, riss ihn aus seinen festgefahrenen Gewohnheiten, die ihn manchmal erdrückt hatten. Ihre Berührungen entfachten die Glut in seinem Innern und ließen sie auflodern.
Sehr viel später lagen sie eng aneinander geschmiegt auf der Couch. Lea hangelte nach der Wolldecke am B oden. Beide kuschelten sich in den weichen Stoff.
Sanft streichelte Joshua über die Sommersprossen auf ihren Wangen, vergrub seine Finger in ihren Locken, bis sie zerzaust abstanden.
Sie zuckten beide erschrocken zusammen, als sein Handy klingelte.
„Ich will nicht drangehen“, grummelte er.
„Dann lass es“, hauchte Lea und küsste ihn sachte.
Doch der Anrufer gab nicht auf. Als das Smartphone das dritte Mal klingelte, stand Joshua seufzend auf und ging zu seinem Mantel. Er kramte es aus der Innentasche und runzelte die Stirn.
Mark?
Joshua nahm den Anruf entgegen.
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