Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Kamin stand. Eine Dienstmagd entfernte sich unauffällig, während die Herrin dankbar lächelte und dem Kind kosende Laute zuraunte. Leise schlich Sophie näher heran. Zum einen wagte sie nicht, das Kleine überhaupt anzusehen, zum anderen konnte sie gar nicht anders, und als der Winzling die kleinen Lippen um die Brust ihrer Gastgeberin legte und Louise leise seufzte, zuckte Sophie zusammen.
„Hungrig ist sie, meine kleine Alexandria“, bemerkte die Hausherrin mit atemlosem Lachen. „Und sie hat einen starken Willen. Von wem sie den wohl hat?“
Sophie gesellte sich zu Louise und schaute dem kleinen Mädchen beim Trinken zu. Zwar wusste sie nicht, welche Gefühlsregung sie eigentlich erwartet hatte, doch dass sie rein gar nichts empfand, traf sie doch überraschend. Das kleine Wesen war ein Säugling wie andere auch. Fast musste Sophie ihre Enttäuschung unterdrücken.
„Wirklich niedlich ist sie“, bemerkte sie gezwungen, was ihr ein strahlendes Lächeln der Mutter einbrachte.
„Ja, und sie hat genauso blaue Augen wie ich“, fügte Louise voller Mutterstolz hinzu. „Ich hoffe sehr, dass sich die Augenfarbe im Laufe des Wachstums nicht noch ändert, denn sie hat die schwarzen Haare ihres Vaters – eine schöne Mischung.“
Das Kind saugte genüsslich, wenn auch mit der Zeit immer langsamer, und als Louise es an die andere Brust legte, ließ es sich nicht stören und nuckelte zufrieden weiter. Allmählich aber ermüdeten die kleinen Lippen, und auch der Atem des Kleinen ging langsamer. Dann legte Louise sich den Winzling über die Schulter, und beide Frauen lachten vergnügt, als das Kleine folgsam sein Bäuerchen machte.
„Möchtest du sie einmal halten?“, fragte Louise.
Das wollte Sophie nur zu gern, und als Louise ihr das kleine Wesen, das sich sacht regte, in die Arme legte, berührte Sophie mit der Fingerspitze die weiche Wange. Es war dasselbe Kind, sie wusste es genau, und sie schmiegte es an ihre Brust. Doch eines war ihr ganz ohne Zweifel klar: Das Kind hatte auf keinen Fall die Gabe. Es trug auch kein Vermächtnis mit sich herum und hatte keine Schuld beglichen. Das kleine Mädchen war ein Kind wie alle anderen. Sophie begriff, dass die Ereignisse jener Nacht längst von dem Kleinen abgefallen waren.
Im Grunde hatte sie gehofft, jenes Band zwischen ihr und dem Säugling sei noch genauso stark. Gewiss, sie fühlte so etwas wie eine Verwandtschaft, denn in der Stunde der Not hatten sie ja vereint gekämpft. Doch ein Erkennen wie damals bei Melusine war es nicht. Auf einmal fühlte Sophie sich sehr allein.
Melusine hatte recht gehabt, das merkte sie nun, denn hier im wohnlichen Schloss Fontaine war die Wahrheit leichter zu erkennen als in den Wäldern. Jetzt begriff Sophie, dass sie anders war als die übrigen Sterblichen; sie war von Melusines Art, auch wenn sie sich noch so sehr dagegen wehrte. Wieder einmal musste sie mit den Tränen kämpfen, aber da legte Louise ihr die Hand auf den Arm, wodurch ihr deren Anwesenheit wieder bewusst wurde.
„Eines Tages wirst auch du Kinder haben“, versicherte die Hausherrin tröstend, und bei ihren Worten verspürte Sophie tief drinnen ein quälendes Sehnen. Nein, das galt nicht für sie, jedenfalls nicht, falls Melusine die volle Wahrheit gesagt hatte. Stumm schüttelte Sophie den Kopf, wusste sie doch nicht, wie sie ihre Empfindungen ausdrücken sollte.
Spontan schloss Louise sie in die Arme. „Alexandria hat noch keine Patin“, sagte sie lächelnd. „Getauft ist sie zwar schon, wobei Hugues als ihr Patenonkel fungierte. Aber ich möchte dich trotzdem bitten, dir mit ihm die Patenschaft zu teilen und gemeinsam für unser Kind zu sorgen.“ Sophie wollte schon etwas einwenden, aber Louise hob abwehrend die Hand, ahnte sie doch, was Sophie auf dem Herzen lag.
„Vieles weißt du, Sophie. Das sehe ich in deinen Augen. Es ist nicht nur ein Hirngespinst von mir, dass diese Kleine etwas ganz Besonderes ist. Lehre sie an meiner statt.“
„Aber ich weiß doch gar nicht, wo ich sein werde, wenn sie einmal größer wird“, wandte Sophie hilflos ein.
Louise brachte sie mit energischem Kopfschütteln zum Schweigen. „Mein Bruder ist ein vernünftiger Mensch“, bekundete sie mit einem neckenden Lächeln. „Und ein rechter Dickschädel, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Meinst du, es wäre uns entgangen, wie du bei seinem Kuss errötet bist? Mir scheint, ihr werdet euch wohl für geraume Zeit nahe sein.“
Bei dieser Vorstellung
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