Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
den Saal zu verlassen, ohne auch nur einmal Sophies Hand loszulassen. „Ich muss dich unbedingt noch heute sprechen“, murmelte er ihr entschieden zu.
Da packte ihn der Venezianer am Ärmel.„Ihr denkt wohl, ich sei für Eure Schwester nicht gut genug, wie?“, fragte er bissig. Sein Gesicht wirkte dermaßen verzerrt, dass Sophie ihre frühere Einschätzung bestätigt sah. „Ihr meint, das Blut eines minderen Kaufmanns vertrüge sich nicht mit dem Eures blaublütigen Geschlechtes?“ Sophie stockte schier der Atem ob dieser Unverschämtheit.
Hugues’ Miene wurde zu einer versteinerten Maske, die seine aufbrausende Wut indes nicht zu kaschieren vermochte. „Ich meine nichts dergleichen!“, fauchte er.
Das allerdings nahm Sophie ihm nicht ganz ab. Hatte er nicht schon vor der Bekanntschaft mit dem Kaufmann Vorurteile gegen ihn gehabt? Und wie verhielt es sich mit ihr selbst? Sie wusste ja nicht einmal, ob sie überhaupt Kaufmannsblut in den Adern hatte. Und wie mochte Hugues wohl erst reagieren, wenn er erfuhr, dass sie ein Kind der Walpurgisnacht war? Auf einmal wollte sie gar nicht mehr hören, was er ihr zu sagen hatte.
„Mamma mia!“, entfuhr es dem Venezianer, worauf sich schlagartig sämtliche Augenpaare im Saal auf ihn richteten. „Ihr seid doch alle gleich, ihr Aristokraten! Seid wenigstens Manns genug und gebt zu, dass es mein Stand ist, der Euch nicht passt.“
„Mit Eurem Stand hat das nicht da Geringste zu tun!“, wetterte Hugues hitzig.
Nun hielt Sophie es nicht länger aus. Verstohlen wand sie die Hand aus Hugues’ Griff, erleichtert und enttäuscht zugleich, dass er es gar nicht bemerkte, weil ihn die Auseinandersetzung viel zu sehr gefangen nahm. Und während er sich weiterhin mit dem Kaufmann aus Venedig herumstritt, verließ sie heimlich, als er den Blick gerade abwandte, fluchtartig den Burgsaal.
Hier kannst du nicht bleiben!, fuhr es ihr durch den Kopf, als sie, den Tränen nahe, davonrannte. Sie durfte nicht von Hugues verlangen, dass er so vieles von dem, was ihm lieb und teuer war, aufs Spiel setzte. Ja, sie liebte ihn viel zu sehr, als dass sie ihn hätte zwingen können, jene Wahl zu treffen, die er sich offenbar vorgenommen hatte. Dazu stand zu viel auf dem Spiel, denn der Verdacht der Hexerei würde für immer an ihr haften bleiben. Das aber musste zwangsläufig den Ruf des Hauses Pontesse gefährden.
Allenfalls war dies ein Vorgeschmack dessen, was sich im Laufe der Jahre unausweichlich und unaufhörlich wiederholen würde – eine dermaßen trübe Aussicht, dass Sophie an der Schwelle zum Burghof ins Stolpern geriet. Doch sie fing sich wieder, auch wenn sie vor lauter noch unvergossenen Tränen alles verschwommen wahrnahm.
Und was war mit ihrer eigenen Abstammung? Davon ahnte Hugues nicht einmal etwas, wenngleich er nach ihrem Eindruck dermaßen stur sein Ziel verfolgen würde, dass er auch damit zweifellos zurechtkommen würde. Aber eine unfruchtbare Hexe, dazu noch in der Walpurgisnacht geboren! Mit der Schmach, sich ein solches Weib zur Gemahlin genommen zu haben, würde er im Leben nicht fertig werden. Und diesen törichten Weg einzuschlagen, so eine Dummheit durfte sie ihm schlichtweg nicht gestatten.
Allerdings war Sophie nicht entgangen, dass Hugues von seinem Vater ein Gutteil von dessen bockigem Naturell mitbekommen hatte. Deshalb wusste sie, dass ihre Worte ihn nicht dazu veranlassen würden, seine Heiratspläne aufzugeben. Inzwischen haltlos weinend, erreichte sie die Stallungen und atmete tief den süßlichen Strohgeruch ein. Nun war ihr klar, was sie zu tun hatte.
Melusine hatte recht gehabt und sie selbst sich falsch entschieden.
Das war eine bittere Erkenntnis, gegen deren schmerzhaften Stich sich allerdings nun nicht mehr viel ausrichten ließ. Schon einmal hatte Sophie den Rat ihrer Lehrmeisterin in den Wind geschlagen. Und was war der Lohn gewesen? Nichts als Qual für sie selbst und für jene, die ihr nahestanden. Aus Liebe hatte sie ihre Wahl getroffen, aber der Preis für ein Leben in der Welt war zu hoch und unerträglich. Zu hoch auch, als dass sie ihn Hugues hätte zumuten dürfen.
Sie musste Pontesse verlassen, denn Hugues würde nur dann die Wahrheit erkennen, wenn er eine Zeitlang ohne Sophie lebte. Nach einem stockenden Atemzug rief sie den Stallburschen herbei und trug ihm auf, den Zelter zu satteln.
„Ja, ein schöner Abend für einen Ausritt über die Wiesen“, bekundete dieser fröhlich, als er dem Tier den Sattel auflegte.
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