Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Gesicht stieg, weil er sich von einem Jungen hatte beim Lügen erwischen lassen. Also folgte er lieber rasch dem Wink des Bootsmannes und führte sein Schlachtross in den dunklen Laderaum. Da Luc sich nicht von der Stelle rührte, blickte Hugues über die Schulter und sah, dass sein Knappe wie angewurzelt vor dem Eingang stand. Sein Gesicht hatte eine merkwürdig grünliche Färbung angenommen.
Erst da fiel Hugues das sanfte Schaukeln des Schiffes auf, ein Umstand, der ihm nie sonderlich zu schaffen gemacht hatte. Sollte Luc etwa seekrank werden? Die Antwort auf diese Frage bekam er im Handumdrehen, denn der junge Bursche begann bedrohlich zu würgen. Hugues versuchte, sich möglichst schnell an seinem Schlachtross vorbeizuschieben und seinem Knappen zu Hilfe zu eilen, aber zum Glück kam ihm der Bootsmann zuvor.
Als Hugues dann kurz darauf an Deck erschien, hielt der Schiffsführer gerade den Knappen beim Kopf über die Bordwand. Sein schiefes Grinsen stand in krassem Gegensatz zu Lucs offensichtlichem Unbehagen.
„Sticht wohl zum ersten Mal in See, der Bengel, was?“, fragte der Seemann gutmütig und mit einem solch schweren bretonischen Akzent, dass man Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen.
„So ist es“, bekräftigte Hugues und verschränkte grinsend die Arme, als Luc durchatmete und ihn verlegen ansah. „Das gibt sich, Junge“, brummte er tröstend.
Luc wirkte nicht sonderlich überzeugt, sagte aber „Aye, Milord“ und griff, nachdem er tief Luft geholt hatte, wieder nach den Zügeln seines Zelters. Als eine Ladung Weinfässer an Bord gerollt wurde, begann das Schiff aufs Neue sanft zu schaukeln, sodass Luc erschrocken aufschaute und ängstlich um sich blickte, bis sich das Wackeln gelegt hatte. Hugues klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und hoffte, dass seine Übelkeit möglichst rasch abflauen möge.
„Die Pferde haben sich wohl etwas beruhigt, Milord“, japste Luc stockend, die Fäuste so um die Zügel verkrampft, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Hugues konnte den Burschen, der sich trotz dieser Widrigkeiten so wacker schlug, nur bewundern. „Wirst mal ein trefflicher Ritter, Luc de Pamiers“, lobte er ihn mit leiser Stimme. Das freudige Leuchten im Blick des Jungen verriet ihm, dass diese Belobigung für sie beide gleichermaßen überraschend kam.
Bis Sophie begriff, was sie tun musste, vergingen nur wenige Stunden. Es dauerte aber geschlagene zwei Tage, ehe sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, um ihr Vorhaben auch umzusetzen.
Zwei Tage nach dem Vorfall mit den Weinprüfern kauerte sie am Kai hinter Taurollen und Stapeln leerer Fässer, nach Kräften bemüht, geräuschlos zu atmen. Eine schlimmere Schande, als hier entdeckt zu werden, war schlechterdings nicht vorstellbar. Hoffentlich, so sagte sie sich, ist diese Warterei bald zu Ende, damit es endlich losgeht.
Zu erkennen, dass sie nicht länger im Hause der Gaillards bleiben konnte, dazu bedurfte es keiner besonderen Fantasie. Es ging nicht allein um ihre Abstammung und die Tatsache, dass Gaillard sie als einen Fluch betrachtete, nein – weil sie nicht länger die Fässer abfüllen durfte, war sie für die Familie auch nicht mehr von Nutzen. Und da Hélène die Hausarbeit allein schaffte, gab es für Sophie nichts mehr beizutragen. Insofern war es bloß eine Frage der Zeit, wann Gaillard sie an einen Heiratskandidaten vergeben würde.
Sophie hingegen war fest entschlossen, niemanden zu ehelichen außer ihren Ritter. Wer konnte schon wissen, was ihr zustoßen würde, wenn sie sich offen dem Schicksal widersetzte? Da ihr Held sich allerdings davongemacht hatte, war die Wahrscheinlichkeit, einmal als alte Jungfer zu enden, nicht von der Hand zu weisen. Dennoch ließ sie von ihrem Vorsatz nicht ab. Sollte es wirklich so sein, dass sie füreinander bestimmt waren, dann würde das Schicksal sie auch wieder zusammenführen. Davon war sie fest überzeugt.
Bis dahin hatte sie sich zum Ziel gesetzt, die großen Steine ihrer Träume zu finden. Im Norden seien die, so hatte Gérard gesagt, und deshalb sollte die Fahrt auch nordwärts führen. Sie wusste zwar, dass es töricht war, allein zu reisen, doch hatte sie keine Lust, den Steinmetz um Begleitung zu bitten, und einen anderen Reisegefährten kannte sie nicht. Mithin blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf eigene Faust auf den Weg zu machen.
Jetzt stellte sich auch heraus, wie nützlich es war, unter vier Brüdern aufgewachsen zu sein. Durch sie hatte Sophie so
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