Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
sind weit besser dran als wir Blaublütigen, die wir für unsere Burgen und Latifundien aufkommen müssen.“ Er räusperte sich und rückte noch näher an Hugues heran, der sich ebenfalls vorbeugte, um das Geraune seines Schwagers auch zu verstehen.
„Ich gebe dir einen guten Rat: Wirf einmal einen Blick in die Rechnungslagen deines Vaters, damit du nicht so eine böse Überraschung erlebst wie ich, als ich Gut Fontaine übernahm.“ Als Hugues ihn nur verständnislos ansah, schüttelte Jean fassungslos den Kopf und verzog das Gesicht. „Weißt du, was es in harter Münze kostet, einen einzigen Ritter zu alimentieren?“, fragte er. „Da wärst du nämlich platt, lieber Schwager, genauso wie ich, als ich erfuhr, dass ich der Krone nicht weniger als zehn von diesen vermaledeiten kostspieligen Recken zu stellen habe. Zehn an der Zahl!“, wiederholte er grimmig und breitete die Arme weit aus, als wolle er seine Worte unterstreichen, ehe er noch einen Schluck nahm. „Da ist man gut beraten, wenn man bei der Brautschau auch einmal die prall gefüllten Säckel einer bürgerlichen Familie mit einkalkuliert.“
„Aber Jean! Das wäre doch unerhört, würde man ein aristokratisches Geschlecht mit bürgerlichem Blut panschen“, gab Hugues entrüstet zu bedenken, fest davon überzeugt, dass sein Schwager in seiner Kritik an den bestehenden Sitten und Bräuchen jetzt doch zu weit ging.
„Unerhört?“, wiederholte Jean zweifelnd, wobei er sich nur mit Mühe ein Feixen verkniff. „Aber natürlich“, stimmte er zu, nach Hugues’ Gefühl zu schnell, denn er durchbohrte ihn mit einem funkelnden Blick. „Einen Monat lang oder auch zwei. So lange, das steht ja wohl zu erwarten, wird die Ehe das Gerede gewiss überdauern.“ Wieder hob sich seine dunkle Braue, sodass Hugues sich veranlasst sah, die Worte seines Schwagers doch einmal zu überdenken.
Zwei Monate … Vermutlich hatte Jean recht, denn alle naselang gab es ja einen neuen Skandal, über den sich die Leute das Maul zerreißen konnten. Doch seine Zukünftige wollte er ja für ein ganzes Leben. Bei diesem Gedanken erinnerte er sich aufs Neue an Sophies Kuss, und die Vorstellung, solche Zärtlichkeiten könne er dann womöglich ein Leben lang genießen, machte es ihm schier unmöglich, vernünftig zu überlegen. Nur mit Mühe zwang er sich dazu, sich mit der wirtschaftlichen Lage von Pontesse zu befassen, und als er aufschaute, merkte er, wie Jean ihn aufmerksam musterte.
„Stell dir nur einmal vor, wie viel Arbeit ich einem ehrbaren Weinhändler verschaffen könnte“, schwärmte Jean träumerisch und nippte, ohne seinen Schwager dabei aus den Augen zu lassen, an seinem Weinkrug. „Ganz zu schweigen von dem Weinbedarf meiner Freunde – oder dem der Kirchen in meinem Besitztum.“
„Aber den Standesunterschied, Jean, den kannst du doch unmöglich so einfach abtun.“
„Wach auf, Hugues!“, fauchte Jean, wobei er mit den Fingern schnipste und sich abermals über den Tisch beugte. „Du wärst nicht der Erste, der diesen Weg beschreitet, und du wirst auch nicht der Letzte sein. Das Lehen bringt nicht mehr so viel ein wie noch zur Zeit unseres Großvaters; Blutsverwandtschaft bis hin zur Inzucht lastet gleich einem Fluch auf den Königshäusern. Da wird sich unser Festhalten an adliger Abstammung mit der Zeit von selber abnutzen.“
„Inzucht?“, wiederholte Hugues entsetzt, verwirrt angesichts des Themenwechsels.
„Jedenfalls würde ich keine Jagdhunde so züchten wie unsere Königshäuser ihre Nachkommen“, knurrte Jean angewidert.
„Jean!“ Hugues war empört, was seinem Schwager aber nur ein leises Lachen entlockte.
„Überlege doch nur“, riet er. „Wann gab es das denn zum letzten Mal, dass ein König und seine Gemahlin mindestens Verwandte siebten Grades waren, wie es die Kirche vorschreibt?“, fragte er herausfordernd, indem er auf die Bestimmungen hinsichtlich der Ehe unter Blutsverwandten verwies. „Ich weiß es schon gar nicht mehr. Sie heiraten ohne Hemmungen ihre Cousinen und fragen sich dann, wie es kommt, dass ihre Nachkommen körperliche oder geistige Schäden aufweisen.“ Kopfschüttelnd genehmigte Jean sich noch einen ausgiebigen Schluck. „Da wundert es mich nicht, dass im Staat alles drunter und drüber geht.“
„Jean!“, mahnte Hugues gedämpft. Was sein Schwager da von sich gab, grenzte an Hochverrat, und angesichts der unterschiedlichen Gäste in dieser Schänke musste man mit allem rechnen.„Halte deine Zunge
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