Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
dafür an dem notwendigen Fingerspitzengefühl.
„Er sagt die Wahrheit, Madame“, bestätigte sie so züchtig wie möglich und verzichtete bewusst darauf, Hugues dabei anzusehen. Hoffentlich verrät er dich nicht!
Ein wenig wich der Zweifel aus den Augen der Alten. Sophie fand allmählich richtig Gefallen an diesem Possenspiel. „Einen solch scharfen Blick wie den Euren findet man nicht alle Tage“, schwärmte sie in geheuchelter Bewunderung.
Die Alte sonnte sich einen Moment in diesem Kompliment, ehe sie aufs Neue die Stirn furchte. „Du magst dich ja wohlerzogen anhören“, räumte sie unwirsch ein. „Aber mit wohlgesetzten Worten führt man mich nicht hinters Licht.“ Sie blinzelte zu Sophie empor, die sich bereits auf eine peinliche Befragung gefasst machte. „Welche Dame reist schon ohne Begleitung mit einem Ritter?“, forschte die Hauswirtin argwöhnisch.
Angestrengt dachte Sophie nach und tischte ihr dann eine Geschichte auf, die nicht einmal gelogen war. „Ich habe es mir nicht ausgesucht. Vielmehr war es eine Laune des Schicksals, welche mich in diese Zwangslage brachte. Der Rittersmann bot mir Schutz und zahlte für meine Überfahrt. Als das Schiff jedoch auf die Klippen geworfen wurde, wurden wir getrennt. Ich fürchtete schon, nur ich allein hätte den Schiffbruch überlebt und wusste nicht, wie ich meine Reise fortsetzen sollte.“ Theatralisch beugte sie sich vor und raunte verschwörerisch: „Ihr werdet sicher zugeben, dass die Straße nichts für eine allein reisende Frau ist. Aber ich muss unbedingt zu meiner Familie zurück.“
„Offenbar wird’s auch höchste Zeit, dass du unter die Haube kommst“, brummte das Weiblein abfällig. Anscheinend nahm die Alte an, eine bevorstehende Hochzeit sei der Grund für Sophies Heimkehr.
Sophie nickte nur und unterdrückte einen Anflug von Zorn angesichts dieses Seitenhiebs auf ihr fortgeschrittenes Alter. Der Hinweis erinnerte sie nur zu gut an das, was sie in Bordeaux hinter sich gelassen hatte.
„Da habt Ihr recht.“Verstohlen stupste Sophie ihren Ritter in die Seite, während die Alte noch überlegte.
Sofort tastete er nach seinem Geldbeutel. „Natürlich verstehe ich, dass Ihr eine Entschädigung für ein weiteres Frühstück erwartet“, sagte er hastig, wobei die argwöhnische Miene des Weibes einen berechnenden Ausdruck annahm. Stirnrunzelnd beäugte sie den im Halbdunkel schimmernden Silbertaler und klopfte sich nachdenklich mit ihrem Hämmerchen in die Handfläche.
„Noch eine freie Kammer habe ich nicht“, warf sie nachdenklich ein und ließ den Blick die Treppe hinaufzucken, als täte es ihr herzlich leid um die schöne Silbermünze.
Sophie, die blitzschnell ihren Vorteil begriff, tat schlagartig bestürzt. „Aber Madame!“, flüsterte sie in gespieltem Entsetzen. „Ihr wollt doch nicht etwa andeuten …“
„Nein, solche Sachen dulde ich nicht in meinem Heim“, wiederholte die Alte energisch und unterstrich ihre Aussage mit dem Hämmerchen. „Das geht …“
Sophie fuhr ihr sogleich in die Parade. „Ich versichere Euch, dass ich mein größtes Geschenk für meinen zukünftigen Gemahl aufspare“, entgegnete sie mit Nachdruck.
Wie nicht anders zu erwarten, wandte die Hauswirtin sich nun an Hugues. „Kann ich mich darauf verlassen, dass Ihr diese Dame in ihrer Haltung bestärkt?“, fragte sie herrisch.
Nun sag schon Ja!, befahl Sophie ihm stumm. Keine lange Schwindelei! Wenn er jetzt ebenso stümperhaft reagiert wie vorhin, dann war alles umsonst.
„Jawohl, das könnt Ihr“, gab er zurück, worauf Sophie stumm einen Stoßseufzer der Erleichterung ausstieß. „Die Dame bekommt natürlich das Bett“, fügte er hinzu, denn die Hauswirtin fand das alles nicht sonderlich amüsant. Sie nahm bloß die Silbermünze entgegen und ließ Hugues’ Bemerkung unbeantwortet.
„Dann wünschst du sicherlich auch ein Bad?“, fragte sie mit einem schrägen Blick auf Sophie.
Sophie nickte und bedachte Hugues mit einem Augenaufschlag. „Ein Bad und möglichst auch eine Schneiderin“, betonte sie und lächelte, als Hugues beifällig den Kopf senkte.
„In diesem Aufzug soll sie jedenfalls nicht mehr reisen“, bemerkte er, an die Hauswirtin unten am Fuß der Stiege gewandt.
„Meine Nachbarin kann gut mit der Nadel umgehen“, stellte die Alte lakonisch fest. „Und zu vernünftigen Preisen.“ Dann wandte sie sich von der Treppe ab. „Émile, du Schwachkopf!“, keifte sie. „Hol den Badezuber für die Dame, und
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