Ruf der Sehnsucht - Historical Special Bd 33
Geschichte von der sagenumwobenen Melusine?“, fragte sie.
In den Augen der echten Melusine flammte ein Leuchten auf. Dann bat sie Sophie mit einer geschmeidigen Geste, sich zu setzen.
„Möglicherweise steckt in dir ja doch mehr, als es nach außen hin den Anschein hat“, sagte sie sinnend, ehe sie sich aufrichtete. Vielleicht lag es an dem trügerischen, verrauchten Halbdunkel im Raum, doch Sophie war, als gehe mit Melusine eine Veränderung vor sich, als fiele die Last der Jahre von ihr ab, und plötzlich strahlte sie eine Kraft aus, die Sophie vollkommen in ihren Bann schlug.
„Es war einmal ein Edelmann“, begann sie, wobei um ihre Lippen flüchtig ein spitzbübisches Lächeln tanzte, „der verlief sich auf der Jagd im Wald. Sein Name tut nichts zur Sache, aber ein Jüngling war’s, hübsch anzusehen und groß gewachsen, ein wahrer Prinz unter seinesgleichen.
Der Maienabend war angebrochen, und deshalb folgte die Jagd einer uralten Sitte, welche man auf dem heimischen Anwesen pflegte. Obendrein war es ein ausgesprochen nützlicher Brauch, der nicht allein für reiche Frucht des Ackers sorgte, sondern gleichzeitig auch für den Festtagsbraten bei der Maifeier. Deshalb war es für den jungen Edelmann selbstverständlich, dass er einem besonders kapitalen Hirsch nachstellte, der ihm zufällig über den Weg sprang. Das Tier aber lockte ihn immer tiefer hinein in den Tann. Als der Hirsch dann schließlich tot zu seinen Füßen lag, bemerkte der Jägersmann, dass er mutterseelenallein im Forst stand. Kein Laut regte sich, welcher ihm hätte verraten können, wo sich der Rest der Jagdgesellschaft befand.“
Melusine nahm einen Schluck Wasser und warf eine Handvoll getrockneter Pflanzen aufs Feuer. Sofort roch der Rauch einen Hauch süßer; ein angenehmes Wohlgefühl durchrieselte Sophie, die sich entspannt gegen die Hüttenwand lehnte.
„Er war aber, wie schon gesagt, ein Jüngling, kraftvoll und durch solch ein Vorkommnis nicht zu erschüttern. Im Vertrauen darauf, dass er den Heimweg schon allein finden werde, lud er sich das erlegte Wild aufs Ross und ritt in die Richtung, aus der er nach seinem Gefühl gekommen sein musste. Immer weiter ritt er, fand aber von seinen Gefährten keinerlei Spur und hörte auch kein Geräusch im Wald, welches ihn auf einen anderen Menschen hingewiesen hätte. Als er dann spürte, wie sich die Dunkelheit herabsenkte, überkam ihn doch leichtes Grausen, denn ihm war, als würde der Tann immer dichter. Außerdem ging das Gerücht, der Wald sei verwunschen.
Da er üblicherweise nichts auf derlei kindische Hirngespinste gab, fasste er kurzerhand den Entschluss, die Nacht im Wald zu verbringen. Am folgenden Morgen, so nahm er an, würde der Weg schon klarer vor ihm liegen. Da plötzlich hörte er ein Bächlein rauschen und folgte diesem Geräusch, und als er am Ufer niederkniete, um aus dem Bach zu trinken, vernahm er außer dem Murmeln des Quells noch einen anderen Laut. Ein Singen war es, erkannte er voller Staunen, und angesichts der Verheißung, er fände vielleicht doch noch einen anderen Menschen in diesem Wald, folgte er rasch diesem Gesang. Als er dann durch das Dickicht brach, stieß er zu seiner Verblüffung auf eine Lichtung und entdeckte dort eine Frau beim Bad.
Er war so erstaunt, dass er bloß voller Verwunderung starren konnte, sah er doch keinerlei Grund, weshalb diese Fremde so tief im Wald ein Bad nehmen sollte. Und während er noch wie vom Donner gerührt am Ufer des Flüsschens stand, fiel ihm auf, wie schön die Frau war und dass sie ihn bislang noch gar nicht bemerkt hatte. Zwar hatte er nie zu jenen gehört, die andere Menschen heimlich beobachten, aber jetzt konnte er gar nicht anders, und daher verbarg er sich im schattenhaften Dickicht der Bäume, um der Badenden verstohlen zuzuschauen.
Wer weiß schon, was ihm so durch den Kopf oder durchs Herz ging, während er die Frau beim Bad beobachtete? Jedenfalls schien es, als könne er seinen Blick nicht von ihr wenden. Ja, ihm war sogar, als bohre ihr Singen sich dermaßen in sein Gehör, dass es ihm schier das Herz betörte, bis er an nichts anderes mehr denken konnte, als daran, sie zu berühren. Plötzlich wandte die Badende sich zu ihm um, gleichsam als könne sie seine Gedanken erahnen. Es überraschte ihn nicht einmal, dass sie seine Anwesenheit bemerkte, so hingerissen war er von ihr. Und als sie aus dem Wasser stieg und geradewegs auf ihn zuschritt, war er ihr willenlos ausgeliefert.“
Abermals
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