Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
Vom Netzwerk:
und hier an der Küste als hässliche Alte. Deswegen sagen wir hier auf Hawaii: Sei immer freundlich zu fremden alten Frauen, es könnte Pele sein!«
    Nathalie Willberg lachte. »Das ist aber eine schöne Legende. Hoffentlich glauben viele Leute daran und sind nett zu alten Frauen.«
    Der Guide begann zu erzählen, dass zwanzig Prozent der Elektrizität auf Big Island mithilfe von Vulkankraft erzeugt wurde – durch heißen Dampf aus der Erde, der Turbinen antrieb. Doch Carima hörte nicht mehr zu. Ihr Blick schweifte zum Meer, wieder einmal. Eine leichte Brandung leckte gegen die kantigen schwarzen Felsen des Ufers. Konnte es wirklich sein, dass weit, weit in der Tiefe, unter dieser glitzernden Oberfläche, Menschen lebten und arbeiteten? Würde eine Antwortmail von Leon da sein, wenn sie ins Hotel zurückkehrten? Und warum war das ihr überhaupt so wichtig? Klar, er hatte schöne grüne Augen, doch das war es nicht. Eher war es seine Art, die ihr gefallen hatte. Leon war scheu und doch auf eine seltsame Weise stark. Irgendwie … intensiv. Nichts an ihm war halbherzig.
    Die Rückfahrt erschien Carima endlos lang. Ihre Mutter plapperte wie so oft ohne Unterlass über irgendetwas – darüber, was man mit den Macadamia-Nüssen, die hier auf Big Island angebaut wurden, alles anstellen konnte, ob sie eine Nussplantage besichtigen sollten oder lieber doch nicht. Carima nickte hin und wieder und dachte an andere Dinge. Zum Beispiel an Daniel. Vor einem Jahr hatte sie sich in ihn verliebt, bei einem Auftritt seiner Band Vampire Daddys beim Schulfest. Doch sie hatten seither höchstens ein Dutzend Mal miteinander gesprochen, denn leider hing Daniel ziemlich oft mit Roxy, der Sängerin der Vampire Daddys herum, einer hirnlosen Schnalle, die in Wirklichkeit Anneliese hieß. Vor ein paar Monaten war Carima klar geworden, dass es mit Daniel nie etwas werden würde. Sie wartete auf den Stich, den es ihr jedes Mal gab, wenn sie an ihn dachte. Doch diesmal geschah einfach – nichts. Konnte es wirklich sein, dass es nicht mehr wehtat?
    »So, jetzt bist du aber dran.« Carima zuckte fast zusammen, als die Stimme ihrer Mutter sie aus ihren Gedanken riss.
    »Erzähl mal – wie geht es deinem Bein, macht es dir noch oft zu schaffen?«
    »Nein. Damit ist alles okay.« Es war jetzt zwei Jahre her, dass ein besoffener Autofahrer sie gerammt hatte, als sie eines Abends nach Hause geradelt war. Irgendwie hatten die Ärzte ihr linkes Bein wieder zusammengeflickt, doch dieser Monat im Krankenhaus war die Hölle gewesen. Und trotz all der Reha und Therapie war das Bein noch immer verkürzt. Wahrscheinlich war dieses verdammte Hinken das Erste, was den Leuten an ihr auffiel. Und ja, es tat manchmal weh – aber nur beim Laufen, im Wasser hatte sie keine Probleme. Dort vergaß Carima manchmal selbst, dass mit ihrem Bein etwas nicht stimmte, und sie spürte, dass durch das Schwimmen die Kraft darin zurückkehrte. Leons Welt tut mir gut , dachte sie und musste über den seltsamen Gedanken lächeln.
    Ihre Mutter verstand das Lächeln falsch. »Schön, dass es endlich geheilt ist. Und, wie läuft’s in der Schule?«
    »Gut«, sagte Carima. Sie hatte gerade nicht viel Lust, Auskunft über ihr Leben zu erteilen.
    »Geht’s auch ein bisschen ausführlicher?«
    »Meine Noten sind okay, nur in Chemie hatte ich vier Punkte. Ich komme mit den Lehrern gut klar, außer mit unserer Deutschlehrerin, die uns alle zu Tode langweilt mit ihren Interpretationen und Erörterungen. Besser so?«
    Ihre Mutter seufzte. »Ich weiß nicht mal, wer deine Freunde sind. Mir kommt es so vor, als wäre ich völlig abgeschnitten von deinem Leben.«
    »Das ist ja auch so«, sagte Carima knapp. »Dir war doch klar, dass es so kommen würde, oder etwa nicht? Hast du halt in Kauf genommen.«
    »Sag doch nicht so was, Cari! Und bitte schreib mir in Zukunft öfter, ja? Dann weiß ich auch, was bei dir gerade so los ist.«
    Carima schwieg. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass ihre Mutter die Wahrheit nicht aushalten konnte. Oder zumindest war sie nicht bereit, sie zuzugeben. Nicht vor Carima und auch nicht vor sich selbst. Irgendwann einmal würde sie sich einen Witz erlauben und ankündigen, dass sie zu ihrer Mutter auf die Cayman Islands ziehen wollte.
    Nur, um mal zu sehen, was dann passierte.
    Das Gewicht der Welt schien von Leon abzufallen, als er in die Dunkelheit hinausschwamm. Und da war auch schon seine Partnerin, sie umschlang ihn mit allen acht Armen, »umkrakte«

Weitere Kostenlose Bücher