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Ruf Der Tiefe

Ruf Der Tiefe

Titel: Ruf Der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Brandis , Hans-Peter Ziemek
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ihn, wie Julian es gerne nannte. Lucys Begeisterung, ihn zu sehen, fühlte sich an wie Sonnenschein in seiner Seele. Es war herrlich, dass sie wieder zusammen waren, und einen Moment lang überließ sich Leon einfach dieser Freude, kitzelte Lucy zwischen den Augen und strich über die weiche Haut ihres Körpermantels. Aus reiner Gewohnheit hatte sie, um sich zu tarnen, ihre Farbe dem Untergrund angepasst, und der war in diesem Fall seine schwarz-silbrige OxySkin. Partner-Look , dachte Leon und musste grinsen.
    Es dauerte nicht lange, bis Lucy spürte, was ihn beschäftigte. Kuss? Was ist das? Etwas zum Fressen?
    Äh, nein. Das ist nur so eine Art Ritual, erklärte Leon. Menschen drücken die Lippen gegeneinander, um sich zu zeigen, dass sie sich mögen.
    Von Lucy kam eine Welle des Erstaunens zurück. Komisch. Genauso komisch wie das, was ihr nennt Schlafen!
    Warum Menschen die Hälfte der Zeit anscheinend ohne Bewusstsein herumlagen, hatte er ihr nie so erklären können, dass sie es verstand. Kraken schliefen nicht wirklich, sie ruhten nur. Zwar fielen auch manche Arten von Meerestieren nachts in einen tiefen Schlaf und lagen dann wie tot in irgendeinem Versteck, doch die meisten Bewohner der Ozeane konnten sich das nicht erlauben – die Wahrscheinlichkeit, in dieser Zeit gefressen zu werden, war viel zu hoch.
    Das Tauchverbot kam Leon wieder in den Sinn und er blickte zurück zur Station. Beim Gedanken, dass er einen direkten Befehl missachtet hatte, wurde ihm nun doch mulmig zumute. Julian hatte recht – was hatte er sich dabei gedacht? Doch er sah keine Alarmlichter an der Station, und niemand schien ihm mit der Cisco oder einem der Hardsuits folgen zu wollen, um ihn zurückzuholen. Auch auf seiner Ultraschall-Verbindung herrschte Stille. Konnte es sein, dass niemand etwas von ihrem Streit und seinem Tauchgang mitbekommen hatte? Möglich war es; im OceanPartner-Modul lebten nur die Taucher und Ellard, die Quartiere der restlichen Besatzung befanden sich neben dem Labor-modul.
    Was war mit Ellard? War er womöglich noch in der Besprechung mit Kovaleinen und hatte dadurch nichts mitbekommen? Schlief er schon? Oder zog er sich gerade auf seinem MP3-Player Bruce Springsteen oder ein Hörbuch rein, wie oft am Abend? Dann gab es eine Chance, dass Leon noch mal davonkam. Denn gepetzt hatte Julian sicher nicht, das war nicht seine Art.
    Leon dachte darüber nach, ob er umkehren sollte. Schnell durch die Schleuse schlüpfen, den Anzug wegräumen und so tun, als sei nichts geschehen. Vielleicht konnte er jetzt noch zurück, ohne dass es auffiel, dass er überhaupt draußen gewesen war. Schließlich war es mitten in der Nacht, wahrscheinlich arbeiteten nur die Wissenschaftler noch und das taten sie auf der anderen Seite der Station …
    Lucy spürte seine Gedanken und klammerte sich mit mehreren Armen an Leons Brustkorb fest. Bitte bleib, bitte, bitte! Wir schwimmen tief und weit und das wird großviel Spaß machen!
    Es rührte ihn, wie verzweifelt sie klang. Jedes Mal wenn sie Streit gehabt hatten, war Lucy nachher besonders anhänglich. Vielleicht hatte sie ebenso viel Angst, ihn zu verlieren, wie er, dass sie irgendwann starb.
    Nein, auch er wollte Lucy und das Wasser jetzt nicht wieder verlassen, alles in ihm wehrte sich gegen den Gedanken. Seit er hier draußen war, fühlte er sich besser, der Tumult in seinem Inneren hatte sich etwas gelegt. Carima gehörte nicht in diese Welt und auch die Gedanken an sie verloren hier draußen ihre Kraft. Wenn sie Julian tatsächlich geküsst hatte, war das ihre freie Entscheidung gewesen. Wieso hatte er sich überhaupt so aufgeregt? Es war ja nicht etwa so, dass er sie zuerst geküsst hätte. Nichts verband sie, außer dieser Erinnerung an geflüsterte Worte im Lagermodul. Sie waren sich fremd und würden es wohl immer bleiben, denn dass sie sich jemals wiedersahen, war unwahrscheinlich.
    Leon entschied sich. Er würde eine Stunde mit Lucy im Meer verbringen und dann in die Station zurückkehren. Solche kurzen Ausflüge, dieses ständige An und Aus der OxySkin, waren zwar eine Quälerei für seinen ganzen Körper und besonders für seine Lungen, doch diesmal kam es nicht infrage, gleich zwei Tage am Stück draußen zu bleiben.
    Ohne Worte, nur durch den Austausch von Bildern, debattierte er mit Lucy, wohin sie schwimmen sollten, und sie entschieden sich schließlich, ein Stück den Abhang hinunterzutauchen. Mit den Hardsuits kam man dort nicht weit, sie waren nur bis

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