Ruf Der Tiefe
Johnny die Nachhut, so als wolle er darauf achten, dass Leon nicht entkam.
»Der gute Johnny ist ein bisschen empfindlich«, flüsterte Leah ihm entschuldigend ins Ohr. »Vielleicht deshalb, weil seine Eltern nicht gerade zu den Guten gehören. Sie sind reiche chinesische Funktionäre und Unternehmer, vor ein paar Jahren haben sie ein entsetzliches Staudammprojekt durchgezogen. Umweltzerstörung im ganz großen Stil. Johnny hat ihnen ins Gesicht gesagt, was er von ihnen hält, und ist abgehauen … tja, und jetzt ist er bei uns so eine Art Sicherheitsbeauftragter. Er wittert überall Verrat.«
Hope drehte sich um. »Sag mal, dieses Ding, das du in deinem Seesack hast … ist das so ein Tauchanzug? Leah, hat Ellyn nicht auch so ein Teil?«
»Ja, ein bisschen ähnlich sieht das schon aus«, meinte Leah und ungläubig blickte Leon sie an. Er schätzte, dass weltweit weniger als sechzig OxySkins existierten, und von diesen gehörten allein fünf ihm selbst und die restlichen den anderen Besatzungsmitgliedern der verschiedenen Benthos-Stationen.
»Da irrt ihr euch wahrscheinlich. Vielleicht hat eure Freundin einen gewöhnlichen Taucheranzug, der so ähnlich aussieht wie meiner.«
»Nee, nee«, beharrte Hope. »An der Gold Coast, wo ich herkomme, habe ich schon mehr Neopren-Suits gesehen, als ich zählen kann, die Dinger kenne ich. Ellyn hat wirklich so einen wie deinen. Schimmernd.«
Leons Gedanken gerieten in Aufruhr. War Ellyn eine junge Taucherin, die so wie er geflohen war und seither von der ARAC totgeschwiegen wurde? Oder gehörte sie gar nicht zu dem kleinen Kreis der Auserwählten, hatte sie die OxySkin einfach gestohlen? Vielleicht war ihr zu spät klar geworden, dass so ein Ding mit Zubehör zwar 100 000 Dollar wert war, sich aber nur sehr schlecht verkaufen ließ, weil es nicht gerade viele Taucher gab, die damit etwas anfangen konnten. Vielleicht hatte sie auch gehofft, das Ding an ein Unternehmen in Asien zu verscherbeln, das scharf darauf war, die darin verwendete Nanotechnologie abzukupfern …
Sie fanden Joe gemütlich auf der Veranda seiner Hütte sitzend, er hatte die Beine hochgelegt. Als er seine Besucher bemerkte, schob er seine verkratzte Sonnenbrille hoch und blinzelte verschlafen ins Licht. Er hatte einen plumpen, unförmigen Körper, trug Sachen, die andere höchstens noch als Putzlumpen verwendet hätten, und sah auf den ersten Blick so aus, als übernachte er am liebsten unter Brücken. Doch seine grauen Augen musterten Leon aufmerksam, und Leon spürte sofort, dass sich dahinter ein scharfer Verstand verbarg.
Eine Hand wurde ihm entgegengereckt. »Joseph B. Kincaid. Es ist mir ein Vergnügen.«
Leon erwiderte den Händedruck, nannte seinen Vornamen und wartete ab, was weiter geschah. Schließlich war es Hope, der als Nächster sprach. »Tja, Joe. Ein Neuankömmling. Wir wissen praktisch nichts von ihm, außer dass er aus dem Meer kommt, einen tollen Tauchanzug mit sich rumschleppt, etwas mit der ARAC zu tun hat und vor Kurzem zu lange in der Sonne war. Er ist entweder ein guter Kerl oder ein Betrüger, was sagt dein Bauchgefühl?«
Leon seufzte innerlich. Wahrscheinlich kam jetzt ein Kreuzverhör darüber, wer er war, was er bei der ARAC gemacht hatte, warum er geflohen war. Wahrscheinlich war es besser, wenn er nichts davon preisgab.
»Drei Fragen – und Lügen sind nicht erlaubt«, meinte Old Joe und ließ die Sonnenbrille auf seinen Nasenrücken zurückrutschen. »Nummer eins. Wusstest du, bevor du hierhergekommen bist, dass wir hier leben?«
»Nein. Ich wusste es nicht«, erwiderte Leon, erleichtert darüber, dass das Verhör so harmlos begann. Hoffentlich waren die restlichen beiden Fragen auch so einfach, dann konnte er endlich Carima anrufen. Im Kopf wiederholte er die Ziffern ihrer Telefonnummer schon seit einer halben Stunde immer wieder. Das lenkte ihn sogar von dem dumpf pochenden Schmerz in seinem linken Arm ab.
Da kam die zweite Frage. »Was denkst du bisher über uns?«
So, wie sich Leon kannte, würde er mit seiner Antwort voll in irgendeinen Fettnapf treten. Egal. »Ich bin noch nicht sicher, ob ihr möglicherweise eine komische Sekte seid. Oder doch nur Öko-Fundamentalisten.«
Old Joe grinste. »Wirst du noch rausfinden. Frage drei: Was sollten wir Menschen deiner Meinung nach tun, um die Erde zu retten?«
Was war das hier für ein bescheuertes Spiel? Er hatte keine Zeit für so was, er musste herausfinden, was mit dem Meer los war, bevor es noch mehr Tote
Weitere Kostenlose Bücher