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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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Richtung der Prozession, »bevor die Ruhe vorbei ist.«
    »Ja, das sollten wir«, stimmte Comistadore zu. »Kommen Sie, ich werde es Ihnen zeigen. Ich möchte gar nicht viele Worte verlieren…«
    »Dann lassen Sie es einfach«, zischte Cato. »Ich möchte ohnehin nicht, dass Sie es mir erzählen. Zeigen Sie es mir einfach.«
    Comistadore verstummte betroffen. Cato verspürte kein Mitleid. Der Mann blieb ihm unsympathisch. Er beschloss, ihn fortan Frettchen zu nennen, gefräßig, klein und dick. Das passte.
    Das Frettchen schien die unverhohlene Abneigung zu spüren, die Cato ihm entgegenbrachte, und führte ihn stumm die Stufen hinauf zum Kirchenportal. Obschon Cato wusste, was ihn dahinter erwartete, legte sich ein Gefühl der Spannung über ihn, als sich die schweren gusseisernen Türen öffneten.
    Viel konnte Cato allerdings nicht erkennen, als er aus der grellen Nachmittagssonne in das Zwielicht des Bauwerks trat, aber Gott sei Dank schirmten die massiven Mörtelmauern nicht nur das Licht, sondern auch die Hitze ab. Es war angenehm kühl in der Kapelle.
    Das Portal fiel mit einem dumpfen Krachen ins Schloss zurück und blendete die murmelnden Geräusche der Prozession aus. Andächtige Ruhe umhüllte die beiden Geistlichen.
    Cato setzte die Tasche ab und wischte sich mit dem Ärmel der Soutane die Stirn. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Die Kapelle war wie viele andere überall auf der Welt. Sperrige Holzbänke rechts und links des Mittelgangs. Dicht unter den kleinen Fenstern, die eher schmalen Schießscharten ähnelten, hingen Kreuze oder blickten Statuen von wackeligen Sockeln herab.
    Außergewöhnlich war nur das Meer flackernder Kerzen, das den fensterlosen Altarchor umgab. Aber auch das überraschte Cato nicht. Überall entzündeten Menschen Kerzen, wo der Glaube das Einzige war, was sie besaßen. Und wenn sie dann noch der Auffassung waren, einem Wunder begegnet zu sein, dann war ihre Bereitschaft zur Hingabe grenzenlos.
    Die Kerzenlichter bildeten einen Kreis um einen kleinen Sockel, auf dem die Statue der Heiligen Mutter stand. Cato näherte sich der Figur, und zum ersten Mal seit seiner Ankunft vergaß er den Kaugummi.
    Aus dem Augenwinkel der Madonna war ein kleines dunkelrotes Bächlein geflossen, die Wangen hinabgesickert und auf ihr steinernes Gewand getropft. Das blutige Rinnsal war eingetrocknet, dennoch schaute Cato fast eine Minute lang fasziniert auf die Skulptur.
    Das Kirchenportal öffnete sich knarrend. Die ersten Menschen traten ein, bereit, einmal mehr der Erscheinung gegenüberzutreten, die sich in ihrer Mitte manifestiert hatte.
    Cato hörte ein Geräusch hinter sich, das seidige Rascheln einer Soutane. Das Frettchen stellte sich neben ihn. »Und, was sagen Sie dazu?«
    Er schwieg, ließ seine Zähne wieder den Kaugummi bearbeiten. Immer mehr Menschen strömten in die Kapelle, erfüllten das Gotteshaus mit ehrfürchtigem Gesang. Bevor die Stimmen ihnen jede Möglichkeit zur Unterhaltung raubten, fragte das Frettchen: »Monsignore, was gedenken Sie zu tun?« Es klang ungeduldig.
    Zum ersten Mal seit ihrem Aufeinandertreffen schaute Cato dem Priester in die Augen. »Ich werde unter die Dusche gehen.«
    Weil ihm die Verwunderung seines Gegenübers nicht entging, fügte er hinzu: »Morgen möchte ich diese Kapelle einer Untersuchung unterziehen.« Schnell fügte er noch hinzu: »Allein!«
    Comistadore konnte sein Entsetzen nicht verbergen. »Das können Sie den Leuten nicht antun! Das ist nicht Ihr Ernst!«
    Cato wandte sich zum Gehen. »Und ob.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf die Menschen, die sich langsam und mit gebeugten Häuptern der Steinstatue näherten. »Ich möchte, dass Sie morgen all diese Leute draußen halten.«
    »Das können Sie nicht tun!«
    »Da haben Sie Recht. Ich werde es auch nicht tun. Sie werden dafür sorgen, dass ich morgen meine Ruhe habe.«
    »Aber die Heilige Mutter ist im Augenblick alles, was diese Leute haben.« Comistadore sah ihn konsterniert an. Ein eigentümlicher Anblick, wenn man dabei gleichzeitig das Bild eines Frettchens vor Augen hatte.
    »Wenn sie ihnen so wichtig ist, dann werden sie warten können.« Catos Hand schnitt durch die Luft als Zeichen dafür, dass die Diskussion hier ein Ende hatte. »Ich bin geschickt worden, um Ihnen in dieser Angelegenheit beizustehen. Und Sie sind gebeten worden, jeder meiner Anweisungen Folge zu leisten. Also tun Sie mir einen Gefallen: Halten Sie sich daran.«
    Er schnappte seine

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