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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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festhielten, während er…
    Der Kommissar schüttelte mitfühlend den Kopf, als habe er es mit einem Kind zu tun, das die Gefahren der großen, weiten Welt der Erwachsenen noch nicht verinnerlicht hatte. »Das sagen immer alle – vorher. Und am Ende sind’s ihre Lieben dann doch gewesen.«
    »Was soll das heißen?« Ihre Stimme gewann an Schärfe.
    Berger zeigte sich davon unbeeindruckt. Wahrscheinlich war er es gewohnt, dass Menschen gereizt reagierten, wenn er sie besuchte. »Wissen Sie, Sie glauben gar nicht, wie viele der Schläger, Vergewaltiger und Mörder, die ich überführe, brave Familienväter von nebenan sind. Ich kenne diese Geschichten inzwischen zur Genüge: Nachbarn, die keiner Fliege etwas zuleide tun können, der Junge, der der alten Frau so gerne bei der Gartenarbeit half, die Mutter, die ihr Kind liebte wie sonst niemand. Und wissen Sie, was geschieht, wenn die Wahrheit ans Tageslicht kommt? Entsetzt sind sie, die Leute, wenn sie erfahren, dass eben jener Nachbar, jener Junge, jene liebevolle Mutti Blut an ihren Händen kleben haben.«
    Chris antwortete nicht, aber Berger schien fertig mit ihr zu sein und schritt zur Tür. »Einen angenehmen Tag noch…«, sagte er, wandte sich aber im Türrahmen noch einmal um. »Ach, eine letzte Bitte noch: Sollten Sie Ihren Freund sehen, sagen Sie ihm, er täte gut daran, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Alles andere verschlimmert nur seine Lage.«
    »Ich werde es ihm sagen – sobald ich ihn sehe.«
    »Sobald Sie ihn sehen«, wiederholte der Kommissar, als sei er in Gedanken bereits wieder ganz woanders, während er die Tür hinter sich ins Schloss zog.

Rom
     
     
     
    »Ich möchte die nächsten vier Stunden bitte nicht gestört werden, von niemandem«, teilte Bischof de Gussa seinem Sekretär mit. Dieser nickte stumm und verschloss die Tür. Für die nächsten Stunden würde eisernes Schweigen herrschen. Er hatte ganz zu Beginn seiner Tätigkeit für de Gussa am eigenen Leib erfahren müssen, wie ernst diese Anweisung gemeint war, als er es einmal tatsächlich gewagt hatte, den Bischof in seiner Ruhepause zu stören.
    De Gussa löste das weinrote Zingulum seiner Soutane und atmete auf. Es gab Tage, an denen er sich von dem Gürtel um seinen Bauch unangenehm einzwängt fühlte, meist dann, wenn der Stress ihn zu überwältigen drohte.
    Er ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und neigte den Kopf über ein Buch, das seit zwei Tagen aufgeschlagen dort lag. Er entsann sich, dass er am Montag versucht hatte, einige Seiten zu lesen, kurz bevor Pater Silvano ihn dabei unterbrochen hatte.
    Er nahm sich fest vor, sich in die Geschichte zu vertiefen. Doch insgeheim wusste er bereits, er würde sich nicht auf das geschriebene Wort konzentrieren können. Zu viel ging ihm durch den Kopf. Die Ereignisse der letzten Tage verlangten seine ganze Aufmerksamkeit. Nichts lief mehr so wie bisher, und es sah nicht danach aus, als würde die Zukunft besser werden.
    Das Officium hatte sich nicht von der Fotografie beeindrucken lassen. Im Gegenteil, am späten Abend, beim Abschied aus der kleinen Kammer unweit der Piazza Nivona, hatten sich die Freunde noch einmal zur Besonnenheit gemahnt. Die Zeit würde alles Weitere regeln, war ihr Credo. Verstanden sie denn nicht, dass die Zeit mittlerweile ihr erbitterter Feind war?
    De Gussa rieb sich die müden Augen. Die letzten Nächte hatte er kaum Schlaf gefunden. Und dann waren ihm heute Morgen Ereignisse zu Ohren gekommen, die ihn stärker beunruhigten, als er vor sich selbst zuzugeben bereit war. Die Angelegenheit drohte aus dem Ruder zu laufen, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte.
    »Aber, aber, Bischof, warum verziehen Sie Ihr Gesicht so sorgenvoll?«
    De Gussa fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Hinter ihm stand Lacie. Er hielt die Hände in den Hosentaschen seines feinen schwarzen Zwirns und schien zu lächeln. So ganz konnte man sich da jedoch bei Lacie nie sicher sein; tiefe Narben durchpflügten sein Gesicht, und der kahle bleiche Schädel machte den Anblick nicht erfreulicher.
    De Gussa erholte sich von seinem Schreck, immerhin war er jetzt wieder hellwach, seine Sinne geschärft. »Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten sich unter keinen Umständen im Vatikan sehen lassen?«
    Lacie hob die Achseln. »Es gibt Umstände, die besondere Maßnahmen erforderlich machen.«
    »Und wie sind Sie überhaupt hier hereingekommen?«
    Das Narbengeflecht auf Lacies Wangen verschwamm zu einer Wulst; diesmal war de

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