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Ruf der Toten

Ruf der Toten

Titel: Ruf der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Feige
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würde herumalbern. »Ken, mir ist nicht zum Scherzen zumute.«
    »Sollte es aber. Wir sollten alle mehr lachen und uns weniger ernst nehmen, dann ginge es uns viel besser. Alte Soziologenweisheit.«
    Philip bezweifelte, dass Lachen ihm in seiner gegenwärtigen Situation weiterhelfen konnte. »Bullshit!«
    »Selber Schuld. Aber ich denke dennoch, wir sollten uns treffen.«
    Womit er nicht Unrecht hatte. Denn so eigentümlich er sich bisweilen gab, Ken war doch sein bester Kumpel. Philip kannte ihn seit dem Abitur; noch bevor er seiner Schwester über den Weg gelaufen war und sie sich ineinander verliebt hatten. Auch wenn er ihm bestimmt nicht sein ganzes Herz ausschütten würde, er musste mit Ken reden. Er selbst steckte mittlerweile so tief drin in seinem Schlamassel, dass er vielleicht etwas übersah. Etwas, das einen Hinweis geben konnte, warum das alles gerade jetzt und ausgerechnet ihm geschah. Und, zum Teufel, Ken protzte mit seinen Soziologiekenntnissen, sollte er doch mal beweisen, was er draufhatte. Er verstand was von Menschen, auch wenn man ihm das nicht auf den ersten Blick ansah, er musste doch wissen, was Sache war.
    Sie verabredeten sich im ›Tresor‹. Ken hatte zwar vorgeschlagen, sich zu einer Tüte oder zwei bei ihm zu treffen, aber das hielt Philip für keine gute Idee. Wenn die Polizei bereits den Weg zu Chris gefunden hatte, dann würde es nicht mehr lange dauern, und sie würden auch Ken einen Besuch abstatten. Diesen Gedanken behielt er zwar für sich, aber Ken ließ sich auch so gern zu einem Abend im ›Tresor‹ überreden.
    Der Club war gut gefüllt. Schwitzende, halb nackte Körper bewegten sich wie ein einziges ungeheures Tier im Takt, den ein nie enden wollender Beat vorgab. Ein hin und her wogendes amorphes Wesen aus nassen zuckenden Leibern, die sich in der Dunkelheit berührten, aneinander rieben, angepeitscht von einem tiefen Bass, der die ungezählten Gliedmaßen des Tieres steuerte wie ein unsichtbarer Marionettenspieler. Das war es, was Philip immer wieder in diese finsteren Verliese zog, Teil dieser Orgie zu werden, über die nie jemand sprach und wegen der sie doch alle hier waren.
    Während er auf Ken wartete, hielt er sich in einer Ecke, fast außerhalb der Reichweite der zuckenden Lichter. Mäuler grinsten aus der Dunkelheit, eine schier endlose Reihe schwarzer Schließfächer, jetzt ohne Türen, Überbleibsel aus dem letzten Jahrhundert, als der ›Tresor‹ noch keine Diskothek, sondern der einbruchsichere Keller eines Bankgebäudes gewesen war. Philip klammerte sich an seinen Wodka-Lemon. Den Rucksack, unnötiger Ballast, war er für einen Euro an der Garderobe losgeworden, nur das Handy steckte in seiner Hosentasche.
    Aus einer Düse neben dem DJ-Pult wurde Kunstnebel auf die Tanzfläche gepumpt, der den Duft von Vanille in seinen grauen Schleiern trug.
    Philip wurde ungeduldig. Wo blieb Ken nur? Er wollte ihm gerade eine SMS schicken, da tauchte sein Freund aus der flirrenden Wolke auf und strich ihm anerkennend über den rasierten Kopf. »Alter Schwede, ganz schön kahl, dein Schädel«, brüllte er, seine Stimme kam kaum gegen das Knallen aus den Boxen an. »Ist das geil hier!«
    Der Bass pumpte durch Philips Körper, durch seinen Schädel. Auch der Alkohol begann zu wirken. Ihm war nicht mehr nach Reden zumute, seine Beine bewegten sich wie von selbst zum Takt der Musik.
    Ken grinste zufrieden. Na siehste, drückte seine Miene aus, manchmal bedarf es nicht vieler Worte, und schon geht es wieder besser. Er hob seine Hand und führte sie zu Philips Lippen. Philip wehrte sich nicht gegen die kleine Scheibe, die sich auf seine Zunge legte, er war es gewohnt, dass Ken ihn mit Stoff versorgte. Eine würde nicht schaden. Er nahm einen Schluck von seinem Drink, und die Pille rutschte die Kehle hinab. Welch ein Glück, einen Kumpel wie Ken zu haben.

London
     
     
     
    »Sie haben großes Glück gehabt«, stellte Dr. Ridgefeld fest. Der Arzt war ein kleines, dürres Männlein in braunem Anzug; über den Lippen wuchs ein schmales Bärtchen. Wache Augen, die ständig auf Wanderschaft waren und die Umgebung musterten, als suchten sie nach etwas, einer Ursache, für die Ereignisse der letzten Tage vielleicht.
    Er untersuchte Beatrice, während Paul auf der Couch daneben saß und jeden Handgriff des Arztes wachsam verfolgte, als traue er ihm aus einem ihr unbekannten Grund nicht über den Weg. Was Beatrice verwunderte, immerhin gab Ridgefeld vor, seit mehr als einem Jahr ihr

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