Ruf der Vergangenheit
Lucas. „Niemand wird einen persönlichen Gewinn aus ihren Gaben ziehen können.“
„Ja.“ Sascha klang besorgt. „Keenan ist offensichtlich erschöpft, und Noor hat gesagt, ihr Kopf sei voll – ich vermute, sie ist ausgebrannt, ihre Gabe taub vor Überanstrengung. Ashaya, was meinst du, wie ist es bei Keenan?“
Nach kurzem Schweigen nickte Ashaya. „Er ist ebenfalls ausgebrannt.“ Mütterliche Sorge trübte ihre Stimme. „Es kann Tage dauern, bis sich die beiden erholt haben.“
„Aber sie werden sich erholen“, versicherte ihr Sascha. „Sie haben bloß ihre geistigen Muskeln überanstrengt.“
„Wir müssen sehr achtsam sein, wen oder was wir an sie heranlassen“, sagte Lucas. „Keenan liebt Noor so sehr, dass er ihr immer folgen wird, und sie wird immer versuchen, Verletzungen zu heilen, auch wenn sie selbst dabei Schaden nimmt.“ Er warf seiner Gefährtin einen vielsagenden Blick zu.
Sascha schnitt eine Grimasse, und Ashaya flüsterte: „Eine Tandem-Gabe … wie erstaunlich.“
„Eigentlich nicht“, murmelte Dorian zur Überraschung aller. „Schließlich ist seine Mutter ein Zwilling.“
Stille trat ein.
„Oh.“ Ashaya blinzelte. „Ja, natürlich. Amara und ich konnten immer schon miteinander verschmelzen.“
„Dann hat Keenan vielleicht von Geburt an die Gabe, sich mit einem anderen auf dieser geistigen Ebene zu verbinden“, überlegte Sascha. „Unter Umständen musste er nur den geeigneten Partner treffen.“ Sie zögerte. „Und die geeignete Umgebung – Tandem-Fähigkeiten können sich nicht in einem Netzwerk entwickeln, das jegliche emotionale Bindung bestraft.“
„Genau.“ Ashaya nickte. „Es ist eine sehr innige Verbindung.“
Sascha sah ihre Rudelgefährtin an. „Und wahrscheinlich kann man es auch nicht lernen. Deshalb sind Tandem-Gaben verschwunden. Aber das Potential war immer vorhanden.“
„Wir müssen sie beobachten“, sagte Ashaya besorgt. „Ich möchte nicht, dass einer von ihnen den anderen unwissentlich beeinflusst. Keenan ist mein Sohn, aber jungen Telepathen fällt es anfangs noch schwer, zwischen der richtigen und falschen Anwendung ihrer Fähigkeiten zu unterscheiden.“
Dev beobachtete, wie Keenan Noor half, den untersten Ast zu erklimmen. „Darüber müssen wir uns wohl keine Gedanken machen. Sie haben viel zu viel Freude aneinander, um den anderen ändern zu wollen.“
„Man würde es auch für einen schweren Fauxpas halten, die Gedanken der späteren Gefährtin kontrollieren zu wollen“, sagte Dorian trocken.
Ashaya lachte, als sie Devs überraschte Miene sah. „Die beiden sind völlig überzeugt davon, dass sie zusammengehören. Ich glaube, es kommen harte Zeiten auf uns zu, wenn wir nicht wollen, dass sie sofort beim ersten Hormonschub loslegen.“
Bei diesem Gedanken mussten alle lächeln. Die Kinder spielten weiter, ohne zu ahnen, welch außergewöhnliche Fähigkeiten sie in dieser Nacht gezeigt hatten.
56
Dev sehnte sich danach, endlich mit Katya zu reden, aber sie war weiterhin bewusstlos. Er ging immer wieder ins Schattennetz, um zu überprüfen, ob der dünne Silberfaden, der sie verband, immer noch da war. Beim fünften Versuch erlebte er eine Überraschung.
Aus dem Silber war Gold geworden.
Am nächsten Tag war es Platin, ein dicker, fester Strang.
Seine Nani stieß im Schattennetz zu ihm. „Schau mal, Beta . Ist das nicht wunderschön?“
„Stärker als jede andere Verbindung.“ Immer wieder fuhr er mit seinen geistigen Fingern den Strang entlang, voller Freude und gleichzeitig über alle Maßen erstaunt.
Nani lachte. „Natürlich.“ Eine Welle von Zuneigung umgab ihn. „Das ist Liebe.“
„Ja.“ Sein Herz wurde weit. „Aber es liegt auch daran, dass sie selbst noch keinen Zugang zum Biofeedback hat. Sie ist im Schattennetz, weil ihr Verstand unserem ähnlich genug ist, aber verbunden ist sie nur mit mir, nicht mit dem Netzwerk selbst. Ich muss uns beide mit dem Feedback versorgen.“
„Bereitet dir das Sorgen?“
„Nein – es gibt mehr als genug.“ Ihm wurde warm ums Herz. „Ich wünschte, ich hätte vorher gewusst, dass es so funktioniert.“
„Liebe kann man nicht vorhersagen, Devraj. Diese Bande entziehen sich unserer Kontrolle.“
„Überraschungen haben mir nie gefallen“, sagte Dev. „Aber jetzt werde ich meine Meinung wahrscheinlich ändern.“
Und als seine Nani lachte, rührte sich Katya. Die Verbindung zwischen ihnen war so stark, dass er es sofort bemerkte. Er verließ das
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