Ruf der Vergangenheit
manche mit dieser Kombination konnten – meist nur bei einer der Fähigkeiten – ihre Kräfte steigern, das war ihr gerade eingefallen. Da sich nicht vorhersagen ließ, wer dazu in der Lage sein würde, war es möglich, dieses Können zu verbergen – was sie getan hatte, denn sonst hätte sie in einem ganz anderen Bereich arbeiten müssen.
Mit einem Mal wurde ihr wieder klar, warum Ashaya und sie so gut mit den Rebellen hatten zusammenarbeiten können – sie hatte fast allen im Widerstand Nachrichten zukommen lassen. Denn nachdem sie etwas geübt hatte, waren ihre telepathischen Kräfte auf neun angestiegen.
Damit konnte sie jeden erreichen, den sie erreichen wollte. Aber in den letzten Monaten hatte sie gar nicht erst den Versuch unternommen. Nur – warum nicht? Sie hob die Hände an den Kopf und presste die Finger gegen die Schläfen.
Schmerz schoss durch ihren Kopf, aber er brachte auch Erinnerungen mit sich.
„Alles, was sich ohne Hilfsmittel bewerkstelligen lässt“, sagte Ashayas vertraute Stimme, „machen wir auch so. Er hegt einen Verdacht gegen dich, Ekaterina. Ich brauche dich, ich will dich nicht verlieren.“
„Meine telepathischen Fähigkeiten würden vieles erleichtern.“
„Aber nicht, wenn du tot bist. Du brauchst Kraft, um deine Gabe zu verstärken – es würde auffallen, wenn du mehr Nahrung zu dir nähmst oder mehr Schlaf brauchtest.“
Katya schwankte, als sie wieder in die Gegenwart zurückkehrte. Ashaya hatte Recht behalten – der Schattenmann … Ming – wieder tauchte eine Erinnerung auf, enthüllte die Identität ihres Folterers – Ming hatte sie verdächtigt. Aber jetzt beobachtete sie niemand mehr, achtete niemand mehr darauf, ob sie ihre Essens- oder Schlafgewohnheiten änderte. Ming hatte ihr den Zugang zum Medialnet versperrt, aber er hatte ihre angeborenen Fähigkeiten nicht unterdrückt. Ihr wurde kalt ums Herz – vielleicht hatte er sie sogar so programmiert, dass sie diese Talente genau so nutzte, wie sie es vorhatte.
Einen Moment lang war sie wie gelähmt. „Nein.“ Sie hob das Kinn und zwang sich, ruhig zu atmen.
Wenn sie zuließ, dass diese Furcht sie aufhielt, hatte Ming wirklich gewonnen. Sie musste einfach daran glauben, dass sie von sich aus handelte, darauf vertrauen, dass sie sich wirklich aus der Asche erhoben hatte, sich ihre Persönlichkeit wieder aneignete und der Phönix wurde, der in ihr schlummerte.
Mit Sicherheit, hundertprozentig, hatte Ming gewusst, welche heftigen Gefühle Dev in ihr auslösen würde, und dass diese Reaktion in ihr den Wunsch nach mehr Stärke entfachen würde – um sich gegen seine Rücksichtslosigkeit zur Wehr zu setzen. „Die einzige Möglichkeit, das herauszufinden, ist ein Versuch.“
Sie holte tief Luft, setzte sich entspannt in einen Sessel und schloss die Augen. Normalerweise wandte sie Telepathie an, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen – oder eine ganz bestimmte Person. Aber sie konnte auch einfach andere „hören“, wenn sie ihre Sinne öffnete. Meist blendete sie diesen Aspekt ihrer Fähigkeiten allerdings aus, schottete sich ab – selbst im Medialnet gab es Individuen, die permanent plapperten. Bei so vielen Stimmen war der Wahnsinn vorprogrammiert.
Und außerhalb des Medialnet? Da war es wahrscheinlich noch tausendmal schlimmer. Die meisten Menschen besaßen nur die einfachsten Schilde. Aufgrund ihrer Geschichte waren die Vergessenen sicher etwas gebildeter, aber dennoch musste es jede Menge Lücken und daher auch Stimmen geben.
Sie versuchte das Kribbeln im Magen zu beruhigen, indem sie sich sagte, dass sie den Zugang ja innerhalb von Sekunden wieder schließen konnte, legte die Hände auf die Sessellehnen und senkte ihre Schilde.
Vollkommene Stille, aber nur für einen Augenblick.
WSSSWISTTTUUUHIRRRGEEEWGGG!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ihr Kopf schlug an die Rückenlehne, als ihre Schilde wieder hochfuhren. Das Klingeln in ihren Ohren hörte erst Minuten später auf. Als sie die Augen öffnete, war sie schweißgebadet, das Haar klebte ihr an der Stirn.
„Alles in Ordnung“, sagte sie. „Alles in Ordnung.“ Sie brauchte weitere fünf Minuten, ehe sich ihr Herzschlag so weit beruhigt hatte, dass ihr Hirn wieder arbeiten konnte. Sobald sie wieder in der Lage war, zu denken, packte sie die Armlehnen noch fester und senkte erneut die Schilde – aber nur ein ganz kleines Stück.
Dev redete mit Cruz gerade über Modellautos – bevor er in staatliche Obhut gekommen war, hatte der Junge gerne mit ihnen
Weitere Kostenlose Bücher