Ruf der verlorenen Seelen
lieÃe sich von albernen
Gedichten und anonymen Anrufen einschüchtern, hatte
sie sich die Falsche ausgesucht. Auch vor einem toten Tier fiel
Violet nicht in Ohnmacht.
An ihr hatten sich schon viel gefährlichere Leute die Zähne
ausgebissen.
Der Plan, einen Ausflug zur Berghütte zu machen, lief überraschend
glatt. Ãberraschend war vor allem, dass Violets Eltern
ihr erlaubten mitzufahren.
Immerhin würden Mädchen und Jungs gemeinsam dort
übernachten. Es klang zwar wie eine Pyjama-Party von Kindern,
aber Eltern von Jugendlichen dachten wohl eher an verbotenen
Sex und Alkoholkonsum.
Jedenfalls hätte Violet gedacht, dass ihre Eltern so etwas
denken würden, aber offenbar vertrauten sie ihr.
Natürlich waren ein paar Bedingungen daran geknüpft. Sie
wollten die Anschrift der Berghütte haben und die Namen
und Telefonnummern der Eltern von allen, die mitkamen. Jay musste natürlich hoch und heilig versprechen, auf Violet aufzupassen.
Letzteres war kein Problem. Es war interessant, wie schnell
Jay die Beschützerrolle übernommen hatte, als sie ein Paar
wurden. Noch interessanter war, dass ihre Eltern ihm so vertrauten,
wenn man bedachte, dass Jay in einer Woche offiziell
ein Jahr jünger sein würde als Violet.
Violet wurde siebzehn, während Jay noch zwei volle Monate
lang sechzehn blieb.
Jay gefiel sich darin, der Jüngere zu sein. Er machte Scherze
darüber, dass Violet bald einen jüngeren Freund haben würde.
So auch eines Abends, als Violets Eltern ausgegangen waren.
Violet und Jay lagen auf dem Bett und er flüsterte: »Ich sollte
mich demnächst mal an Mädchen in meinem Alter halten, wo
du doch bald deine besten Tage hinter dir hast.«
Violet lachte. »Gute Idee«, sagte sie und stützte sich auf.
»Bestimmt gibt es jede Menge Jungs in meinem Alter, die nur
zu gern vollenden würden, was du angefangen hast.«
Jay erstarrte und Violet merkte, dass sie einen Nerv getroffen
hatte. »Was ist?«
Er schüttelte den Kopf und Violet dachte, er würde »Nichts«
sagen, deshalb war sie überrascht, als er fragte: »Gibt es denn
einen anderen, Vi?«
Sie runzelte die Stirn, verwirrt über diesen ungewohnten Anflug
von Eifersucht. Sie fragte sich, was er damit meinte, und
strich ihm eine Strähne aus der Stirn. »Wovon redest du?«
Er schaute ihr in die Augen. »Ich hab dich im Kino mit diesem
Typ gesehen, Vi. Wer war das?«
Violet schloss die Augen. Sie war noch nicht bereit, darüber
zu sprechen. Sie wollte ihm nicht vom FBI erzählen, von Sara und Rafe und der Geschichte mit Mikes Mutter. Sie fragte sich
kurz, ob er das mit Mikes Mutter wusste â ob Mike sich ihm
anvertraut hatte. Doch sie bezweifelte es. Jay war nicht so verschlossen
wie sie, er hätte ihr sicherlich davon erzählt.
»So was ist es nicht«, erklärte sie und hoffte, er würde sich
damit zufrieden geben.
Jay stand auf, ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück.
Alle Muskeln in seinem Körper waren angespannt.
»Was dann, Vi? Was ist los? Du hast doch irgendwas. Warum
kannst du es mir nicht sagen?«
Er hatte recht. Sie musste es wenigstens versuchen, das war
sie ihm schuldig. »Ich weià nicht, wie ich es erklären soll, aber
ich hab das Gefühl, dass zwischen uns alles anders geworden
ist â¦Â«
»Natürlich ist es anders geworden, Vi. Was hattest du denn
erwartet?«
Violet versuchte, den bitteren Unterton zu ignorieren und
sagte sich, dass sie kein Recht hatte, beleidigt zu sein. »Früher
hatte ich nie Geheimnisse vor dir. Du warst mein bester
Freund. Aber jetzt, wo wir zusammen sind, ist es anders zwischen
uns. Ich hab das Gefühl, dass ich ständig aufpassen muss,
was ich sage, weil du dir sonst Sorgen machst. Manchmal hätte
ich lieber wieder den alten Jay zurück, damit ich mit dir reden
kann.« Violet schlang ihm von hinten die Arme um den Bauch
und legte die Wange an seinen Rücken.
Das war keine richtige Aussprache, aber immerhin ein Anfang.
Und bald, sehr bald, konnte sie sich ihm hoffentlich anvertrauen.
Sie merkte, wie er sich entspannte, seine Stimme wurde
weicher. »Ist es das? Du hast das Gefühl, nicht mehr mit mir reden zu können? Wir haben uns doch nicht verändert, wir sind immer noch dieselben.«
Sie schob die Hände vorn unter sein T-Shirt und fuhr mit
den Fingerspitzen langsam über seine Brust und wieder hinunter.
Er drehte
Weitere Kostenlose Bücher