Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
gemeinsamen Zeit. Nicht mehr und nicht weniger, und damit konnten sie beide leben. Sie hatten keine Abschiedsszene haben wollen, waren lediglich noch einmal gemeinsam auf die Jagd gegangen. Ein paar passende Opfer waren schnell gefunden. Eine junge Gang, die sich für unbesiegbar hielt. Heute Nacht waren sie besiegt worden, und zwar jeder Einzelne. Es war berauschend schön gewesen.
Die Nacht war noch nicht halb vorbei, als sie sich mit einem letzten leidenschaftlichen Kuss voneinander trennten, und Armand in sein Haus zurückkehrte. Er vermisste Melissa. Auch die Leidenschaft mit Lemain hatte ihn nicht von ihr ablenken können. Er wollte ein paar Stunden für sich allein sein.
Es klopfte an der Tür. Offenbar wurden ihm diese Stunden nicht gegönnt. Wer konnte das sein? Er schloss die Augen und versuchte, die Gedanken vor der Tür zu hören.
Franklin.
Der Letzte, den er im Moment sehen wollte. Resigniert seufzend öffnete er ihm. „Toi? Seit wann kommst du mich besuchen, Franklin?“
Seine Stimme war beißend kalt, wie die Nacht. Auf den Schultern von Franklins dunkelblauem Mantel hatten sich kleine Schneehäufchen gebildet. Er musste den ganzen Weg gelaufen sein. Trotzdem hätte Armand ihn am liebsten vor der Tür stehen lassen. Franklin schien es ihm anzusehen.
„Ich dachte, dass du dich vielleicht einsam fühlst, seit Melissa fort ist. Und dass du gerne wüsstest, wie es ihr in Ägypten geht. Du kommst nicht mehr nach Gorlem Manor, also dachte ich, ich statte dir einen Freundschaftsbesuch ab.“
Das änderte natürlich alles. „Du hast Nachricht von Melissa?“
„Sie hat geschrieben“, bestätigte Franklin und blickte dann fast flehentlich nach innen. Dort sah es deutlich wärmer aus als hier draußen.
Armand erinnerte sich seiner Manieren und trat zur Seite, um Franklin hereinzulassen. Dankbar ging dieser an ihm vorbei. Während er Mantel und Schal ablegte, begann er, von Melissas E-Mail zu erzählen.
„Die Arbeit im Mutterhaus dort gefällt ihr. Es ist heimeliger, sagt sie. Nicht so viele Leute. Die Hitze macht ihr zu schaffen. Ich nehme an, das fehlende Blut auch, obwohl sie nichts davon schreibt.“
Sie gingen ins Wohnzimmer, wo ein Feuer im Kamin brannte, an dem Franklin sich wärmen konnte. „Hat sie etwas über mich geschrieben?“ Armand fragte das zögernd, fast hatte er Angst vor der Antwort.
„Nun, sie vermisst dich.“
Erleichtert stieß er den Atem aus. Die physische Trennung änderte nichts an ihrer starken Verbindung. „Aber deswegen bist du nicht hier“, stellte er mit kühlerer Stimme fest. Er ging zum Sideboard, holte eine Flasche teuersten schottischen Whisky hervor und schenkte Franklin ein Glas ein. Mit einem dankbaren Lächeln, aber zitternden Fingern nahm dieser es entgegen.
„Nicht nur“, gab er zögernd zu. „Ich war auch neugierig.“
„Neugierig?“, fragte Armand und nahm abwartend auf dem weichen Sofa Platz. Franklin zog den Sessel ihm gegenüber vor.
„Wie du so wohnst. Melissa hat ein bisschen davon erzählt. Ich hätte nicht erwartet, so etwas vorzufinden.“ Er beschrieb das Haus mit einer ausladenden Handbewegung.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Was ging hier vor? Wenn ihn das Haus interessierte, hätte er seit Jahren herkommen können. Dann begann Franklin vom Mutterhaus zu erzählen. Von den Fortschritten, die Melissa dort bereits gemacht hatte, wie gut es wäre, dass Armand sie ‚nach Hause’ gebracht habe, und dass sie tatsächlich fehlte. Besonders Ben. Die Erwähnung des Namens ließ Armands Eifersucht wieder aufflammen. Er unterdrückte sie nur mühsam. Franklin bemerkte es und wechselte schnell das Thema.
„Wir haben Margrets Buch der Schatten vernichtet. Vorletzte Nacht. In einem reinigenden Ritual verbrannt. Es wird keinen Schaden mehr anrichten.“
Armand nickte bedächtig. Er antwortete kaum, beobachtete Franklin nur. Seit er gekommen war, wirkte er unruhig. Seine Hände, seine Augen, die Unsicherheit, mit der er sich umblickte. Seine ganze Haltung verriet, dass er sich nicht wohl fühlte. Er wollte etwas, wagte aber nicht, darüber zu sprechen. Immer wieder sah er Armand an, fast schüchtern. Nach der kurzen Erwähnung von Melissas Mail redete er nur noch über belanglose Dinge wie das Wetter, oder an welchen Fällen die Ashera gerade arbeitete. Erst jetzt kam er her. Jetzt, wo Melissa in Ägypten war. Und redete über solchen Unsinn. Das war ganz sicher nicht der Grund für seinen Besuch. Wem wollte er etwas
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