Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Vielleicht ist es doch gerade der Gott, welcher uns vor all den Sünden warnte und der sie uns letztendlich doch begehen lässt, nur damit er uns nach dem Tod dafür strafen kann.“
„C’est absurde!“, sagte Armand scharf. „Der Teufel verführt die Menschen zu Missetaten, nicht Gott.“
„Ach. Und woher wissen wir das? Steht nicht in manchen heiligen Schriften geschrieben, dass Gott selbst ihn als Verführer auf die Erde schickte?“
Das konnte Armand nicht leugnen. Er hatte solche Schriften selbst gesehen. In den heute geheimen Archiven des Vatikan, wo sie vor den Augen der Welt verborgen gehalten wurden.
„Womit wir wieder an dem Punkt wären, dass Gott, sofern Luzifer wirklich in seinem Auftrag handelt, der wahre Verführer ist. Und hier stellt sich mir die Frage, ob Luzifer dies möglicherweise nicht gutheißen wollte und deshalb zum gefallenen Engel wurde. So wie wir gefallene Engel sind. Vielleicht retten wir die Seele eines jeden Menschen, den wir töten, für ihn. Ziehen sie nicht in die Verdammnis sondern schenken ihr die Erlösung von dem Irrglauben an ihren Gott.“
„Du hast seltsame Ansichten über Gott und den Teufel“, sagte Armand. Ihn schauderte.
„Nein, Armand, keine Ansichten“, widersprach Lucien. „Es sind nur meine Gedanken, nichts weiter. Aber wie dem auch sei. Tatsache ist, dass kein Vorwurf, den Gott Luzifer macht, untermauert werden kann. Er ist nicht die Finsternis, denn er ist der Engel des Lichts. Er ist nicht der Überbringer von Krankheit und Tod, Hass und Krieg, denn all das findet seit jeher nur im Namen Gottes, nicht des Teufels statt. Er hat den Menschen nie ihre Unsterblichkeit geraubt, denn sie besaßen diese nie. Gott vertrieb sie aus dem Garten Eden, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, nur um zu verhindern, dass sie auch noch vom Baum des ewigen Lebens essen konnten und auf diese Weise unsterblich würden wie er. All das sagt uns die Bibel. Und wenn deren Verfechter wirklich so überzeugt von ihrer Richtigkeit sind, wie können sie dann noch fortfahren zu behaupten, Luzifer sei böse?“
Er machte eine lange Pause. Armand schwieg respektvoll.
„Ich denke, sie wissen es ebenso wenig wie unseresgleichen, Armand. Und sie denken viel weniger darüber nach. Aber wenn wir wirklich blutige Engel sind, wie man uns so oft nachsagt, wenn wir des Teufels sind, wie es heißt, dann besteht durchaus die Möglichkeit, dass wir Luzifers erwählte Diener sind. Seine gefallenen Engel. Und dann ist er es, der Unsterblichkeit verleiht. Durch uns. Willkürlich. Er ist es. Wir sind es. Und nicht Gott. Gott hat die Unsterblichkeit verwehrt, als er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb. Wir schenken sie, wenn wir es wollen.“
„C’est possible“, gestand Armand ein. „Doch schenken wir mit dem ewigen Leben nicht auch ewige Verdammnis?“ Seine Stimme klang bitter. Er lebte seit zweihundert Jahren in einer Hölle, aus der es kein Entrinnen gab. Er hatte sich damit abgefunden, sich daran gewöhnt. Und er liebte dieses Leben. Doch es blieb eine Hölle.
„Genug davon“, beschloss Lucien. „Ich weiß, du bist nicht hergekommen, um mit mir über Religion zu philosophieren.“
Armand atmete erleichtert auf. Er war dankbar, dass das Thema für diesmal abgeschlossen wurde. „Nein, das bin ich nicht. Ich habe dich aus einem bestimmten Grund gesucht.“
„Ich weiß. Die schöne Hexe, nicht wahr? Die Füchsin, die du mit hierher gebracht hast. Um die du wirbst, seit vielen Monaten schon.“ Wieder huschte ein Lächeln über die Züge des Vampirs, als er Armands Verblüffung gewahr wurde. „Überrascht? Ich weiß mehr, als du für möglich hältst,
elby
. Ich wusste schon von ihr, als Lemain sie noch nicht einmal gesehen hatte. Und nun suchst du mich auf und willst wissen, wer noch von ihr weiß. Ich warne dich, Armand, gib gut auf sie Acht! Viele wissen von ihr. Und nicht alle werden sich von deinem Blut fern halten lassen.“
Armand senkte ergeben den Kopf und kniete vor dem anderen nieder. „Was kann ich tun?“
Lucien beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte mit beschwörender Stimme: „
Inkelhom
. Verwandle sie. Mach sie zu einer von uns. Dann ist sie vor denen sicher.“
„Non, je ne peux pas. Ich kann nicht. Sie ist noch nicht bereit.“
„Sie ist stark genug. Geschaffen für die Ewigkeit.“
„Aber noch nicht bereit“, beharrte Armand.
Der Vampir hob überrascht eine Braue. „Das ist es also. Sie soll es freiwillig
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