Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Armand regelte die ein oder andere bürokratische Angelegenheit für Mrs. Eleonora Cavenor – so hieß seine ältliche Freundin. Ich dachte mir, dass er diese Dinge wohl eher unbürokratisch regelte, sagte aber nichts. Für sie war er einfach ein wundervoller junger Mann, der dringend eine ebenso wundervolle Frau brauchte, wenn sie das mal so offen sagen dürfe. Ich musste lächeln, denn offenbar hielt sie mich für eben diese Frau.
„Ach, es ist so viel passiert, Armand! Sie waren wirklich lange weg, diesmal. Scaramouche wäre fast überfahren worden. Können Sie sich das vorstellen? Ich sag’s ja immer wieder. Diese furchtbaren jungen Draufgänger mit ihren Sportwagen. Glauben, die Straße gehöre alleine ihnen. Ach, was sind das nur für Zeiten?“
Ich folgte Mrs. Cavenor in die Küche und half ihr, Tee aufzusetzen und Gebäck auf einen Teller zu laden. Sie war wirklich eine nette alte Dame. Mit grauen Haaren, die sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen trug, einer Brille, die ihr ständig von der Nase rutschte, jeder Menge Falten im Gesicht, die ihrem heiteren Wesen aber keinen Abbruch taten, und einer herzerfrischenden, fröhlichen Art. Ihre Wohnung war recht altmodisch eingerichtet. Sehr viele geblümte Decken und Kissen, alte rustikale Schränke und Tischchen, jede Menge Zimmerpflanzen und ein Wellensittich, mit dem sich Scaramouche angeblich hervorragend vertrug. Solange der Vogel im Käfig war, versteht sich.
„Sie sind aber wirklich eine nette junge Dame, mein Kind. Wo haben Sie Armand kennen gelernt?“
Äh, ja, wo eigentlich? Ich konnte ja schlecht sagen: ‚Och, er hat mich mal eben vor der Mörderin meiner Mutter gerettet, als sie mich gerade auf dem Scheiterhaufen rösten wollte. Übrigens, die hatte sich als meine Grandma ausgegeben und mich großgezogen.’
Nein, so was konnte ich Mrs. Cavenor nun wirklich nicht erzählen. Armand half mir glücklicherweise aus der Patsche.
„Melissa studierte bis vor anderthalb Jahren an der Uni in Glasgow. Ich habe dort eine Wohltätigkeitsveranstaltung gesponsert. Na, und dabei ist sie mir dann praktisch in die Arme gelaufen.“
Wow, wie konnte man nur so fürchterlich lügen, ohne rot zu werden? Er grinste mich frech an.
„Sie hätten sie schon längst mal mit hierher bringen müssen, Armand!“, bemerkte Mrs. Cavenor und tat ein bisschen beleidigt. Aber nur, um sofort wieder spitzbübisch zu lächeln. „Es ist nicht richtig, mir die zukünftige Mrs. Tolluret so lange vorzuenthalten.“
„Tolluret?“, fragte ich tonlos hinter ihrem Rücken und Armand nickte. Warum hatte er mir nicht gesagt, dass er hier einen anderen Namen benutzte? Das hätte mich mal wieder in eine peinliche Situation bringen können!
„Je m’excuse, Madame. Ich bitte um Entschuldigung. Aber ich war einfach zu beschäftigt, und Melissa hat ja auch ihre Arbeit.“ Sofort griff Armands Freundin den Faden auf, den er ihr hinlegte.
„Oh, was machen Sie denn beruflich, Melissa?“
„Ich, äh …“
„Sie ist Künstlerin. Sie schreibt Gedichte.“
Mrs. Cavenor wirkte wie ein kleiner Kreisel, der sich zwischen Armand und mir hin- und herdrehte, damit sie auch bestimmt alle Informationen mitbekam. Jetzt drehte sie sich wieder zu mir.
„Wirklich? Oh, wie wundervoll! Sie müssen mir ein paar von Ihren Werken zukommen lassen, mein Kind. Ich liebe die Poesie.“
„Ja, gern.“
Am liebsten hätte ich Armand erwürgt. Nachdem wir brav unseren Tee getrunken und unsere Plätzchen gegessen hatten, zogen wir uns in unser Appartement zurück, Scaramouche im Schlepptau oder vielmehr schnurrend auf Armands Arm.
„Er wird kaum von meiner Seite weichen, solange ich hier bin. Aber er wird uns nicht stören. Nachts schläft er meistens auf meinem Bett.“
Das brachte mich darauf, was ich vermisst hatte. „Wo steht denn dein Bett hier? Ich meine, du wirst wohl kaum das im Schlafzimmer meinen. Und verborgene Kammern im Keller scheint es hier nicht zu geben, oder etwa doch?“
Armand schmunzelte und setzte Scaramouche wieder auf den Boden. „Es ist das Bett im Schlafzimmer. Der obere Teil lässt sich zur Seite schieben. Ich schlafe sozusagen im Bettkasten.“
In der darauffolgenden Nacht brachen wir schon kurz nach Sonnenuntergang zum Mardi Gras auf. In nicht ganz so prunkvoller Kostümierung, aber nicht minder wirkungsvoll. Armand hatte Mrs. Cavenor gebeten, uns Kostüme zu besorgen. Er würde den ganzen Tag in seiner Firma beschäftigt sein, und mich wolle er mitnehmen, um mich
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