Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Blick zu. Gebete und Vampire passten einfach nicht zusammen.
„Da reden sie immerzu von ihrem barmherzigen, liebenden Gott, vor dem alle Menschen gleich sind. Und dennoch führen sie Kriege für einen Gott des Friedens. Wie viele sind im Namen Christi gestorben? Hingerichtet oder abgeschlachtet.“
„Ich erinnere mich, dass du eine Weile eine wahre Vorliebe für die Schlachtfelder hattest, Lucien.“
Armands Tonfall war gefährlich für ihn, denn dieser Vampir hier war viele tausend Jahre älter als er und ungleich mächtiger. Doch wieder lächelte der andere nur und berührte Armands Lippen mit zärtlicher Geste. Gönnerhaft sah er über den kläglichen Versuch hinweg, das Thema wechseln zu wollen.
„Das ist lange her,
hayati
.“
Armand hielt den Atem an, als Lucien ihn so nannte. Alte Gefühle kehrten machtvoll zurück und brachten sein Herz einen Augenblick lang zum Beben.
„Du nennst mich noch so? Nach all den Jahren?“
„Du wirst es immer sein. Ebenso wie viele andere, die ich in meine Obhut nahm. Ob von mir geschaffen oder nicht.“
Das Licht der Kerzen vor dem Altar fing sich im blutroten Rubin eines schweren Silberrings an Luciens Finger. Es blendete Armand förmlich. Er spürte, wie der Hunger pochend von ihm Besitz ergriff. Zwar hatte er schon getrunken. Aber nicht dieses Blut – nicht das, welches der Ring ihm vorgaukelte. Als Lucien dessen gewahr wurde, lächelte er versonnen und bedeckte den reich facettierten Stein mit seiner Hand. Wieder glitt sein Blick zu den Heiligenbildern.
„Ich habe mich schon so oft gefragt, warum niemand für den Teufel Kriege führt. Wo er doch angeblich so böse ist. Aber vielleicht will er ja gar keine Kriege.“
Er blickte Armand aus tiefen, dunklen Augen aufmerksam an und neigte seinen Kopf zur Seite, als erwarte er eine Antwort.
„Je ne sais pas“, antwortete Armand schließlich leise. „Ich weiß es nicht.“
„Ich auch nicht, Armand. Wer kann schon sagen, ob der Teufel wirklich böse ist? Oder Gott wirklich gut? Die Menschen glauben das, weil man sie lehrte, es zu glauben. Und weil es zu mühsam wäre, das in Frage zu stellen. Aber ich stelle es in Frage. Zweitausend Jahre lang begleitet mich der christliche Glaube nun. So wie viele andere Religionen vorher, die auch keinen Deut ehrlicher oder besser waren. Ich habe zu jenen gehört, die er verdammt, weil sie in seinen Augen mit dem Teufel im Bunde stehen. Manchmal war ich selbst der Teufel, und dies mag der Wahrheit vielleicht näher kommen, als uns allen lieb ist.“ Armand wollte etwas sagen, doch Lucien hob abwehrend die Hand, noch bevor ein Wort über seine Lippen kam. „Wir töten für den dunklen Dämon. Denkst du nicht?“
Die Stimme war dunkel, der Blick eindringlich. Armand überlief ein kalter Schauer, als er sich seinem alten Freund und Lehrmeister nun gegenübersah und das unruhige Flackern in dessen Augen bemerkte.
„Ca m’inquiète. Das beunruhigt mich. Solche Gedanken gefallen mir nicht.“
„Das brauchen sie auch nicht“, war die eisige Antwort. „Aber alles ist möglich,
elby
.“ Die Stimme wurde wieder nachdenklich und sanfter. „Ist es nicht seltsam, dass dieser christliche Gott so allmächtig sein soll, mächtiger noch als all die Götter meiner Vergangenheit, und dennoch nicht in der Lage ist, seine Anhänger vor dem Teufel zu schützen? Nicht einmal vor uns? Ist er dann wirklich so allmächtig? Oder sind wir nicht sogar viel mächtiger als er, wenn wir ebenso willkürlich Tod oder Leben schenken? Ewiges Leben. Vielleicht werden all diese Menschen, die an ihn glauben und versuchen, ihm zu Gefallen zu sein, in der Stunde ihres Todes feststellen müssen, dass sie dem Falschen gedient haben. Dass der Himmel ein Reich der ewigen Finsternis ist und die Hölle der wahre Ort des Lichts und der Erlösung von allen Übeln dieser Welt. Schließlich ist Luzifer doch selbst in christlichen Schriften noch als Engel des Lichts bekannt.“
Seine Stimme, obwohl nur ein Flüstern, hallte von den heiligen Wänden der Kirche wider wie pure Blasphemie. Beunruhigt schaute Armand sich um, doch niemand schenkte ihnen Beachtung. Lucien machte eine gleichgültige Handbewegung.
„Vergiss sie. Sie wissen kaum, dass wir hier sind. Und sie verstehen kein Wort von dem, was wir sagen.“
Armand mochten ihre Stimmen laut erscheinen, weil seine Vampirsinne so scharf waren, doch die Menschen hörten bestenfalls leises Gemurmel.
„Spiele mit den Möglichkeiten,
elby
. Denn derer sind viele.
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