Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Körper. In Agonie sich windend im Rauch und dem Regen aus heißer Asche. All das in finsterster Nacht. Und über allem schwebend sah ich ihn. Mit tränenverschleiertem Blick und russgeschwärztem, schmerzerfülltem Gesicht. Leidend mit diesen Menschen – und doch nicht zu ihnen gehörend. Neben ihm eine Frau. Genauso bleich, genauso schön. Ihm so ähnlich, dass sie seine Zwillingsschwester sein mochte. Das gleiche schwarze Haar. Nur länger. Die gleichen blauen Augen. Die feinen Glieder. Die durchscheinende, perlmuttschimmernde Haut. Auch sie hatte seine Anmut und seine unbeschreibliche Aura. Königliches Blut, dachte ich. Doch ihr Blick war kalt und leer. Überheblich, gleichgültig. Weder Mitleid noch Trauer. Und nicht eine Träne. Sie war sich ihrer Macht bewusst. Und sie war entschlossen, sie zu nutzen. Diese Menschen waren Opferlämmer für sie. Damit sie behalten konnte, was sie so mächtig sein ließ. Für ihn war es ein Fluch, für sie eine Gabe. So gleich waren sie. Und doch so verschieden. Dann war die Vision vorbei. Ich öffnete die Augen, und er war fort.
„Du bist es“, hörte ich seine Stimme im Dunkeln flüstern. Es klang gespenstisch. „Du wirst es sein. Wenn die Zeit kommt. Wir werden uns wiedersehen, Melissa Ravenwood. Ich hoffe, als Freunde.“
Woher kannte er meinen Namen? Wann würden wir uns wiedersehen? Die Nacht blieb stumm im milden Wind von New Orleans. Endlich löste ich mich von diesem seltsamen Erlebnis und setzte meinen Weg zu dem kleinen irischen Pub fort. Ich bestellte einen Whisky, was man mir gar nicht zutraute – der Mann hinter der Bar zog zunächst fragend die Brauen hoch.
„Nun gucken Sie nicht so, ich meine schon, was ich sage.“
Achselzuckend stellte er mir den Whisky hin. Ich trank das Glas in einem Zug leer. Die braune Flüssigkeit schmeckte rauchig, holzig und brannte in meiner Kehle. Aber ich schaffte es, nicht zu husten.
„Danke!“, sagte ich. „Und jetzt hätte ich gerne noch ein Bier.“
Ich bekam es und setzte mich damit an einen Tisch in der hintersten Ecke. Mein Handy vibrierte in meiner Tasche. Ich schaute aufs Display – Franklins Privatnummer. Sein fünfter Anruf seit meiner Flucht. Ich drückte ihn weg und schaltete das Handy ganz aus. Mein Blick glitt durch den Raum. Erfreulicherweise schenkte man mir weiter keine Beachtung. Ein paar Männer spielten Billard, ein alter Säufer war auf dem Tresen eingeschlafen, der Wirt spülte mechanisch Gläser. Es waren nur wenige Gäste hier. Arbeiter, die nach einem anstrengenden Tag noch ein Gläschen mit Freunden tranken und über die guten alten Zeiten plauderten.
Er winkte dem Kellner, ihm noch ein Glas Chartreuse zu bringen. Langsam ließ er die grüne Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen, während seine Augen auf der jungen Frau mit den roten Haaren ruhten. Er beobachtete sie von seinem Platz im Schatten, seit sie das Lokal betreten hatte. Ihre Augen waren unruhig. So, als hätte etwas sie fürchterlich erschreckt. Er studierte sie genau. Ihre Bewegungen. Wie sie sich mit den Fingern durch die Haare strich. Das Zittern ihrer Hände, als sie das Glas an ihre Lippen hob. Wunderschöne, sinnliche Lippen. Wie gern hätte er einen Kuss darauf gedrückt. Ob sie wohl geneigt wäre, Gesellschaft zu haben? Sie fühlte sich einsam. Es wäre einen Versuch wert. Wenn sie ja sagte, würde es eine ausgesprochen befriedigende Nacht werden. Oder auch zwei. Oder drei.
Eine Stunde später fühlte ich mich gefasst genug, um durch die dunklen Straßen von New Orleans nach Hause zu gehen. Obwohl es nicht kalt war, fror ich und zog meine Lederjacke fester um mich. Das Erlebnis ließ mich nicht los. Ich erschrak fürchterlich, als mich unvermittelt jemand vor der Seite ansprach. Ein junger Motorradrocker. In verwaschenen Jeans und schwarzer Lederjacke. Darunter trug er ein Netzshirt, das zwar nicht durchsichtig war, aber dennoch mehr von seinem muskulösen Körper verriet, als es verbarg. Die Füße steckten in Cowboystiefel mit silbernen Beschlägen. Lockiges schwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Er hatte sanfte braune Augen. Zu sanft für einen harten Typ wie ihn. Er hatte sie dunkel geschminkt, wie ein Gothic. Schwarzer Kajal, grauer Lidschatten, schwarze Wimpertusche, die seine ohnehin sehr langen seidigen Wimpern noch mehr betonte. Seine Stimme war tief, fast ebenso tief wie die des Vampirs von vorhin. Und das war es, was mich bis ins Mark zusammenfahren ließ, als er mich ansprach.
„So allein,
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