Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Dennoch war Ben der Meinung, dass ich überreagiert hätte. Es wäre besser, Franklin davon zu überzeugen, dass ein Umzug nach Paris gar nicht nötig war.
„Vernünftigen Argumenten gegenüber ist Franklin immer aufgeschlossen“, meinte er überzeugt.
Pah, er hatte ihn ja auch eben nicht erlebt! Dennoch schaffte er es, mich wieder auf den Boden zu holen und allmählich verrauchte meine Wut. Es war schon richtig, Franklin hatte es nicht leicht mit mir. Keiner stieß ihn so oft vor den Kopf. Keiner stellte seine Autorität so oft in Frage. Und bei keinem anderen würde er einen auch nur halb so schlimmen Verstoß dulden wie die, die ich seit meinem Eintritt in die Ashera begangen hatte. Mein ‚großer Bruder’ erklärte sich bereit, bei Franklin für mich einzutreten. Er meinte, es sei nicht gut, wenn gerade wir beide so mit unserem Temperament aneinander gerieten.
„Eigentlich könnt ihr nämlich gar nicht ohne einander. Deshalb wird er dich auch ganz bestimmt nicht fort schicken. Vergiss diesen blöden Streit! Er hat Angst, dass du Armand doch noch folgst. Und die wird auch nie vergehen. Manchmal schießt er dabei über die Stränge. Aber er hat dich unwahrscheinlich gern, das weiß ich.“
„Ja, du hast ja Recht. Aber er ist so furchtbar dickköpfig!“
„Ach, und du nicht?“ Lachend musste ich gestehen, dass ich da wohl keinen Deut besser war. „Ich werde am besten gleich mit ihm reden, es ist schon spät. Und morgen Früh erzähl ich dir dann, was dabei herausgekommen ist, okay?“
„Ja, ist gut.“
„Du wirst ganz bestimmt nicht nach Paris müssen. Du wirst schon sehen.“
Es ging mir schon bedeutend besser, nachdem ich mit Ben gesprochen hatte. Vielleicht würde er ja die Wogen zwischen Franklin und mir wieder glätten können. Auf meiner Seite hatte er es jedenfalls geschafft.
Am nächsten Tag in der blauen Bibliothek wartete ich vergeblich auf Ben. Als ich mich schließlich auf die Suche nach ihm machte, zuckte jeder, den ich fragte, die Achseln. Keiner hatte ihn gesehen. Für mich konnte das nur eins heißen. Eine neuerliche Woge von Zorn, noch viel größer als die vom Vortag, kochte in mir hoch. Ich stürmte in Franklins Arbeitszimmer, außer mir vor Wut, und stieß die Tür so heftig auf, dass sie krachend gegen die Wand fiel. Überrascht hob Franklin den Kopf.
„Wo ist Ben?“
Gelassen blickte er mich an. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Er ist fort.“
„Das wiederum weiß ich.“
„Und niemand weiß wohin.“
„Dafür gibt es Gründe.“
„Welche?“ Mittlerweile war ich vor seinem Schreibtisch angekommen und stütze mich mit den Händen darauf ab, um mich zu ihm hinüber lehnen zu können. Mein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem seinen entfernt. Noch immer war er nicht aus der Ruhe zu bringen.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Aber vielleicht freut es dich, zu hören, dass du nicht nach Paris gehen wirst.“
Er versuchte, vom Thema abzulenken, doch im Moment war Paris mir relativ egal. Ich wollte wissen, was mit Ben geschehen war.
„Was hast du mit ihm gemacht?“
„Wie kommst du darauf, dass ich ihm etwas angetan habe? Er ist gegangen, das ist alles.“
„Keiner verlässt einfach so die Ashera. Ich kenne die Regeln.“
Jetzt wurde seine Stimme gefährlich leise. „Und manchmal gibt es da Ausnahmen. Gerade du solltest das wissen.“
„Du schüchterst mich nicht ein, Franklin, gib dir keine Mühe! Ich habe schon zu viel gesehen und zu viel durchgemacht. Ich weiß, dass er nicht einfach so gegangen ist.“
„Und woher willst du das wissen?“
„Wir waren heute verabredet. Er hat noch nie eine Verabredung einfach so vergessen.“
„Vielleicht hatte er etwas Wichtiges zu tun.“
„Das glaube ich nicht.“
„Wenn Ben dich versetzt hat, ist das dein privates Problem. Ich wüsste nicht, was das mit der Ashera zu tun hat.“
Damit wandte er sich wieder seinen Unterlagen zu. Für ihn war die Unterredung beendet. Für mich aber noch lange nicht.
„Du hast ihn beiseite schaffen lassen wie Carl damals, nicht wahr?“
Jetzt hatte ich wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Ich triumphierte innerlich, als ich sah, wie er erbleichte.
„Was weißt du über Carl?“
„Er war vor dir Vater dieses Mutterhauses, aber du wolltest seinen Platz einnehmen. Möglichst schnell, weil er dir unbequem war. So wie Ben dir jetzt unbequem geworden ist, weil er sich auf meine Seite und somit gegen dich gestellt hat. Du hast Armand damals benutzt, um
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