Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Schulter, und er zuckte nicht zurück.
„Willst du mir von ihr erzählen? Von Madeleine? Meinem Spiegelbild?“
„Madeleine.“
Etwas huschte über sein Gesicht. Eine Erinnerung. Ich setzte mich auf einen großen Stein, der am Boden lag und wartete, bis er sprach. Sein Blick war meilenweit entfernt.
„Wir wollten heiraten. Doch dann kam Lemain. In der Nacht, als sie die Bastille stürmten, gab er mir das Dunkle Blut und sorgte dafür, dass Madeleine die Stadt verließ. Sie war schwanger, aber davon wusste ich nichts. Ich habe sie gesucht, überall. Ohne sie zu finden. Lemain verwischte alle Spuren. Ich fand sie erst, als sie unserem Sohn das Leben schenkte – und ihres dabei verlor. Alles war verloren. Nicht nur ihr Leben. Auch meins. Und unser Kind? Es konnte nicht bei mir bleiben. Ein Neugeborenes und zwei Vampire. Lemain hätte den Jungen sofort getötet. Also brachte ich ihn zu meiner Mutter, kehrte meinem alten Leben für immer den Rücken – und blieb bei Lemain. Aber ich habe die Linie meines Sohnes nie aus den Augen verloren. Und sie endet – bei dir.“
„Bei mir?“ Mir blieb die Luft weg, ob dieser Offenbarung. Was hatte ich mit Armands Familie zu tun? Und doch war nichts logischer als das, wenn man bedachte, wie sehr ich dieser Adligen glich, die Armand hatte heiraten wollen.
„Mein Blut teilte sich in zwei Zweige. Der eine führte zu deiner Mutter Joanna. Der andere zu deinem Vater. In dir sind beide Zweige meiner sterblichen Familie wieder vereint. Und du bist Madeleine wie aus dem Gesicht geschnitten. Darum, Melissa, liebe ich dich wie mein Leben. Ich wollte nicht, dass du sterben musst, wie sie einst starb.“
„Und dennoch hast du niemals auch nur versucht, mich gegen meinen Willen … “
In wilder Verzweiflung fuhr er zu mir herum, fasste meine Hände bei diesen Worten.
„Niemals hätte ich das tun können, mein Liebes! Wenn du mir nichts glaubst, mon cœur, so glaub mir wenigstens das eine: dass ich dich über alles liebe. Mehr als mein eigenes unsterbliches Leben und mehr als mein sterbliches. Du bist alles für mich.“ Mutlos ließ er meine Hände wieder los und ließ die seinen ebenso wie seinen Kopf sinken. „Und auch dich habe ich verloren.“
Tränen flossen über mein Gesicht, als das Verstehen einsetzte. Wie hatte ich nur so blind sein können? Warum hatte ich ihm nicht vertraut? Meinem Märchenprinzen aus der Kindheit. Er war es. Das wusste ich jetzt. So sicher, wie ich wusste, dass die beiden edlen Frauen in dem verwunschenen Schloss niemand anderes als meine Mutter und Lilly waren. Göttin, ich hatte so vieles einfach nicht gesehen, obwohl es ganz klar vor mir lag.
„Kennst du den wahren Grund, warum ich Frankreich und vor allem Paris fern geblieben bin seit diesen Tagen?“, fragte er plötzlich. Ich schüttelte den Kopf, unfähig zu sprechen. „Weißt du“, fuhr er fort, „warum Lucien genau wusste, dass ich hierher kommen würde? Dass ich mich in den Katakomben unter Notre Dame verstecken würde?“ Ich spürte seine Trauer übermächtig. Diesen endlosen tiefen Schmerz, der ihn zerriss. Das Zaudern, ob er es mir sagen sollte oder nicht. Und die grenzenlose Sehnsucht, sich diese Last vom Herzen zu sprechen. „Sie liegt hier“, sagte er schließlich. Seine Augen blicken mich an. Schimmernd und leer. Seine Haut schien noch blasser zu werden, und er zitterte. „Meine Madeleine liegt hier.“ ‚Wo sein Herz begraben liegt’. Luciens Worte ergaben plötzlich einen Sinn. „Ich selbst habe sie hierher gebracht. In der Nacht, in der ich Paris für immer verließ. Ich habe sie ausgegraben und das, was von ihr noch übrig war, hierher gebracht. Nur so konnte ich Abschied nehmen. Nur so konnte der Schmerz über ihren Verlust in mir endlich vergehen.“ Seine Stimme zitterte, als er weitersprach. „Wusstest du, dass Notre Dame auf den Grundmauern eines heidnischen Tempels erbaut wurde? Der würdigste Ort für eine wie sie, nicht wahr?“ Er sah mich an, doch ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Daher schwieg ich und hörte ihm einfach nur weiter zu. „Sie war eine Hexe, meine Madeleine. Wie du. Aber sie war auch gläubige Katholikin. Und hier, unter Notre Dame, da konnte ich ihr beides geben. Den heidnischen Tempel und den geweihten christlichen Boden. Wenn ich sie schon aus ihrer selbstgewählten letzten Ruhestätte holte, dann wollte ich sie wenigstens so bestatten, dass ihre Seele Frieden hatte. Und ich vielleicht auch. Denn für mich hatte es nur
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