Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
tapfer weiter.
Und dann fand ich ihn. Oder er mich. Denn ich hätte diesen Raum nicht betreten, wenn seine Stimme mich nicht förmlich hinein gerissen hätte.
„Tu m’as trouvé ? Comment ca ? Wie hast du mich gefunden?“
Der Schrei kam als kläglicher Laut über meine Lippen. Er sah schrecklich aus. Blass, fast schon bläulich, schimmerte seine Haut. Er war abgemagert bis auf die Knochen. Er musste lange Zeit nicht getrunken haben. Das dunkle Haar hing ihm wild um den Kopf, seine Kleidung war schmutzig und zerknittert.
„Du siehst mitgenommen aus“, sagte ich sanft und streckte meine zitternden Finger nach ihm aus.
„Ich habe gefragt, wie du mich gefunden hast.“
„Der letzte Ort, an dem dich jemand vermuten würde. Dort, wo die schlimmsten Erinnerungen sind. Der Ort, den du seit Jahrzehnten meidest.“
„Du kennst mich doch besser, als ich dachte.“ Er lachte höhnisch.
„O Armand! Es tut mir so Leid!“
„Was tut dir Leid? Dass du mich fortgejagt hast wie einen streunenden Hund? Es muss dir nicht Leid tun. Schließlich habe ich ja immer gesagt, es ist deine Wahl.“
Er war so voller Bitterkeit, und seine Stimme troff vor Sarkasmus. Dennoch klang er matt und resigniert. Es brach mir das Herz.
„Eigentlich habe ich dich gar nicht gefunden. Es war Lucien, der mir sagte, wo ich dich finden würde.“
„Lucien?“
Seine Augen weiteten sich in ungläubigem Schreck. Angst kroch in mir hoch, dass er mir vom Gesicht ablesen konnte, was zwischen mir und Lucien geschehen war. Dass ich es genossen hatte, in seinen Armen zu liegen und sein Blut zu empfangen. Dass ich es freiwillig getan hatte.
Er wusste es. Ein bitterer Zug um seine Lippen ließ keinen Zweifel daran. Seine Worte noch weniger.
„Ich kenne Lucien. Ich weiß, wie er liebt. Natürlich hast du freiwillig bei ihm gelegen.“
Das Funkeln in seinen Augen war tief und gefährlich. Trotzdem hielt ich ihm mutig stand. Er würde mir nichts tun. Er liebte mich. So wie ich ihn. Ganz gleich, was zwischen uns vorgefallen war.
„Ja.“
„Pourquoi?“
„Weil ich dich gesucht habe. Und er der Einzige war, der wusste, wo ich dich finden kann. Alles hat seinen Preis. Das habe ich gelernt, seit ich dich kenne.“
Er ging auf den unterschwelligen Vorwurf in meiner Stimme nicht ein.
„Woher wusstest du von ihm?“
Ich senkte den Blick. Unfähig, ihn dabei anzusehen, als ich von Dracon erzählte. Von meiner Angst, den Schmerzen, der Todesnähe. Davon, wie Lemain mir das Leben gerettet und mich zu Lucien gebracht hatte.
„Dracon? Mein Gott, warum hast du mir nie davon erzählt?“ Die Bitterkeit schwand und machte einer unerträglichen Verzweiflung Platz. Hilflos streckte er eine zitternde, knochige Hand nach mir aus, ohne mich zu erreichen.
„Was hätte ich damit gewonnen? Außer einer weiteren Schuld, die ich auf deine Seele lade. Ich war am Leben, als ich zurück kam. Dank Lemain. Seitdem sehe ich ihn mit anderen Augen.“
„Du dankst ihm?“ Zweifel und Hohn klangen in seiner Stimme mit, als ich von seinem Dunklen Vater sprach. „Nach allem, was er getan hat, bringst gerade du ihm Verständnis entgegen?“
Es traf mich tief, dass er scheinbar nichts verstand. „Tue ich das? Ich habe mehr Gründe, Lemain zu hassen als du. Ich war sein Schlachtfeld. Ich habe die Wut zu spüren bekommen, die du in ihm zurückgelassen hast.“
„Was weißt du schon von ihm und mir?“
„Alles, was ich wissen muss. Was Lemain mir nicht erzählte, hat Lucien mir offenbart. Und er schickte mich hierher, weil er wusste, wohin du dich verkrochen hast.“
„Ich will allein sein“, sagte er matt und wandte sich von mir ab. Weder Wut über meine Nacht mit Lucien noch Bedauern für das, was Dracon getan hatte zeigten sich länger auf seinem Gesicht. Er schien aufzugeben.
„Um zu sterben?“, fragte ich bitter. „Und was ist mit uns?“ Tränen brannten in meinem Hals. Göttin, ich war so wütend auf ihn gewesen! Doch das war jetzt vorbei. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich hatte so viel ertragen und so viel riskiert. Es durfte nicht umsonst gewesen sein.
„Was soll mit uns sein?“, gab er müde zurück. „Ich muss zugeben, du bist stärker, als ich jemals geglaubt habe. Ich war so sicher, dass du mein werden würdest, aber ich habe mich geirrt. Ich habe dich verloren.“ Sein Blick ging ins Leere. „So wie ich sie damals verloren habe.“
Ich spürte einen Hauch von Eifersucht. Doch er verflog sofort wieder. Zögernd berührte ich seine
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