Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
ich Franklin einen Brief. Längst war meine Wut verraucht. Am Flughafen in Miami gab ich den Brief auf, wenige Minuten, bevor ich in mein Flugzeug nach Paris stieg. Ein paar Stunden noch, und ich würde mich in der französischen Metropole auf die Suche nach meinem Liebsten machen. Wenn Lucien Recht hatte – und davon ging ich aus – würde ich ihn schon in der kommenden Nacht wiedersehen. Lange bevor Franklin diese Zeilen in Händen hielt:
Mein lieber Franklin
,
wenn dieser Brief Dich erreicht, wird nichts mehr so sein wie es war. Du hast immer befürchtet, dass es geschehen würde, und jetzt ist es soweit. Ich weiß nicht, ob ich wieder ins Mutterhaus zurückkehre. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt noch willkommen bin. Ich folge diesem Drang in mir. Folge ihm, weil ich gar nicht anders kann. Ich komme mir vor wie ein Alkoholiker, der trunken ist von seiner Droge und nur noch an die nächste Flasche Whisky denken kann. Oh ja, die Trunkenheit ist ein treffender Vergleich, findest du nicht? Und meine Trunkenheit ist mir inzwischen ach so vertraut. Ja, ich bin trunken. Trunken von seinem Blut, trunken von seiner Macht
.
Bitte verzeih mir, Franklin. Doch ich kann nicht anders. Ich muss ihm folgen. Und ich werde ihm folgen, ganz gleich, in welche Hölle auch immer mich das führen wird. Ich bete, dass du das verstehst, und dass du weder ihm noch mir grollst. Noch dir selbst. Es war mein Schicksal von Anfang an. Meine Bestimmung. Ich bereue nichts. Und ich danke dir und der Ashera für die Familie, die ich für eine kurze Zeit hatte, und die ich jetzt vielleicht für immer verliere. Was kann ich noch sagen? Ob du es verstehst oder nicht, wird niemals von meinen Worten abhängen. Ich liebe dich
.
Und meine Loyalität zur Ashera wird nicht enden, das verspreche ich dir. Leb wohl oder auf Wiedersehen. Das wird die Zeit erst zeigen
.
In Liebe, Melissa
Mein Flugzeug landete um die Mittagszeit auf dem Flughafen Charles de Gaulle. Ich genoss ein letztes Mal die wärmende Septembersonne. Wenn mein Vorhaben gelang, würde ich sie nie mehr wiedersehen.
Ruhelos streifte ich durch die geschäftigen Straßen von Paris, stieg sogar auf den Eiffelturm und spielte einige Augenblicke mit dem Gedanken, zu springen. Ich wusste nicht einmal, warum. Es war einfach ein Gedanke, und dann war er auch schon wieder fort. Kurz bevor die Sonne unterging, näherte ich mich schließlich Notre Dame. Schon von außen wirkte das Gemäuer Ehrfurcht einflößend. Ich schaute an der Außenfassade hinauf zu den Wasserspeiern, die auf dem Dachfirst saßen und die Kirche zu bewachen schienen. Dämonische Wächter, Gargoyles, die finster zu mir herab sahen, als wüssten sie um meine dunkle Natur und mein frevelhaftes Vorhaben, mit dem ich diesen heiligen Boden besudeln würde. Ich schluckte schwer und trat durch das große Hauptportal ein.
Notre Dame war atemberaubend. Viel schöner noch, als ich es von Bildern und aus Berichten kannte. Die bunten Glasfenster, die reich geschmückten Altäre, das warme edle Holz. Überall der Prunk der christlichen Kirche. Wäre ich aus anderen Gründen hierher gekommen, mir wäre das Herz aufgegangen angesichts dieser Schönheit und dieser Pracht. Doch an diesem Abend hatte ich kaum einen Blick für Glanz und Herrlichkeit der Kathedrale. Vielmehr beunruhigte sie mich. Überall brannten Kerzen, und noch immer saßen einige Menschen in den Kirchenbänken, in stillem Gebet versunken. Menschen, die mich sehen konnten. Die vielleicht sehen würden, was ich tat. Mein Herz pochte laut. Ich hatte das Gefühl, jeder der Betenden würde mich aus den Augenwinkeln heraus beobachten. Zitternd näherte ich mich dem Hauptaltar. Meine Schritte auf den Steinen kamen mir blasphemisch laut vor, angesichts der Ruhe und des Friedens hier.
Eine Steinplatte hinter dem Altar, hatte Lucien gesagt. Und dass ich mich nicht dabei sehen lassen sollte. Das war leichter gesagt als getan. Ich wagte mich nicht einmal in die Nähe des Altars, weil ich fürchtete, Aufsehen zu erregen. Erst recht, wenn ich mich dahinter auf den Boden sinken lassen und nach einer losen Steinplatte suchen würde. Ganz zu schweigen von dem Lärm, den das Entfernen einer solchen Platte machen würde. Suchend blickte ich mich um. Niemand schenkte mir Beachtung. Es war nur meine eigene Unruhe, die mir vorgaukelte, dass von überall her Augen auf mir ruhten. Alle waren mit sich selbst beschäftigt. Dennoch zog ich es vor, zunächst so zu tun, als sei auch
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