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Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)

Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanya Carpenter
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ich nur zum Gebet hier. Ich nahm in der vordersten Reihe Platz. Direkt vor dem goldenen Altar, der von herrlichen Engeln umrahmt wurde, die ihn zu beschützen schienen. Für einen Moment zweifelte ich, ob ich an diesen Engeln vorbei käme oder ob sie mich nicht mit einem Feuerstrahl niederstrecken würden, wenn ich es auch nur versuchte. Ich schüttelte den Gedanken ab und neigte den Kopf auf meine gefalteten Hände.
    „Was machst du da?“, fragte Osira.
    „Beten! Und jetzt sei leise!“, zischte ich.
    „Ich brauche nicht leise zu sein, Mel. Sie können mich ohnehin nicht hören. Dich aber schon.“
    Oh, diese Wölfin! Wenn sie mir wenigstens helfen könnte!
    „In ein paar Stunden wird hier kaum noch jemand sein. Bestenfalls ein paar Gottesmänner und einige wenige arme Seelen, die Zuflucht vor der Nacht suchen. Die Steinplatte lässt sich geräuschlos öffnen, wenn du vorsichtig bist. Niemand wird dich sehen.“
    Erleichtert atmete ich auf. Dann versank ich wieder in mein Scheingebet und wartete meine Zeit ab. Tatsächlich leerte sich das Gotteshaus mehr und mehr. Eine halbe Stunde vor Mitternacht war ich fast allein, das Hauptportal längst verschlossen. Offiziell war Notre Dame für heute nicht mehr geöffnet. Leise stand ich auf und ging zum Kerzenschrein hinüber, um selbst eine Kerze zu entzünden – nicht für ihren Gott, sondern für meine Göttin. Danach schlich ich dicht an der Wand entlang Richtung Altar. In jeder dunklen Nische verharrte ich einen Moment, überzeugte mich davon, dass mich noch immer niemand beobachtete, geschweige denn verfolgte. Zwei Priester gingen an mir vorüber und unterhielten sich angeregt in gedämpftem Ton. Sie sahen mich nicht. Endlich erreichte ich den Altar. Sollte ich auf dem Boden langsam hinüber kriechen oder einfach pfeilschnell hinüber rennen? Ich entschied mich für Letzteres. Mein Herz raste, als ich hinter den mächtigen Heiligenschrein sank. Endlich sicher vor den Blicken aller Anwesenden dort vorne im Kirchenschiff. Einige Minuten blieb ich regungslos hocken, lauschte auf die gemurmelten Gebete, auf die Beichte einer jungen Frau und die Absolution, die der Priester ihr erteilte, auf leise Schritte, die sich dem Ausgang näherten. Niemand kam zum Altar, niemand hatte mich bemerkt. Ohne mich zu rühren, fuhr ich mit der Hand die Fugen der Steinplatten am Boden nach. Bei der dritten spürte ich einen kalten Hauch an den Fingern. Das musste sie sein. Geräuschlos drehte ich mich auf die Knie und schob das Altartuch beiseite. Auf der Platte war ein Ring angebracht, an dem man sie nach oben ziehen konnte. Wie Osira gesagt hatte, ließ sie sich fast geräuschlos bewegen. Doch leicht war sie deshalb noch lange nicht. Ich hatte einige Mühe, sie ganz zu öffnen. Das Geräusch, als die schwere Platte an der dahinterliegenden schabte, ließ mir das Blut gefrieren. Das konnte niemand überhört haben. Jetzt war alles egal. Ich musste da runter und zwar schnell. Wie eine Katze glitt ich in die Öffnung und ließ die Platte über mir heruntersinken. Sie schloss sich mit einem dumpfen Ton.
    Lebendig begraben.
    Ich wusste, so oder so, die Platte schloss sich über meinem Leben. Es würde nie wieder dasselbe sein. Ich hatte mit dem Schließen der Platte selbst das Grab versiegelt. Meine Arme fühlten sich an wie Pudding. Aus eigener Kraft würde ich hier nie mehr heraus kommen.
    Ich hörte Schritte, die sich dem Altar näherten, leise Stimmen in Französisch. Doch die Platte hob sich nicht, und schließlich entfernten sich die Schritte wieder. Ich atmete auf. Meine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das spärliche Licht gewöhnt hatten. Auf allen Vieren kroch ich die Treppe hinunter. Mit jeder Stufe wurde die Kälte größer. Schließlich kam ich unten an. Es herrschte eine beängstigende Stille, die durch die weitverzweigten unterirdischen Gänge und Kammern wogte und alles mit einem todesähnlichen Schleier überzog. Zögernd folgte ich dem schmalen Gang geradeaus.
    „Armand?“
    Keine Antwort. Zu beiden Seiten gingen kleine Räume ab – Krypten – und in jeden spähte ich hinein. Hier unten lagen die Überreste vieler Heiliger und Kreuzritter. Angst und Ekel machten sich allmählich in mir breit. Was, wenn Lucien sich geirrt hatte und Armand gar nicht hier war? Ich spürte, wie sich ein Schrei in meiner Kehle bildete und langsam nach oben drängte. Panik, schlichte Panik! Ich würde hier unten vor Angst sterben. Doch ich kämpfte das Gefühl nieder und ging

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