Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Friedhöfe in England ungemütlich. So kalt und … feucht.“
Seine Stimme und die zweideutige Wortwahl sandten Schauer über Armands Haut. Er wusste, wo das enden würde. Hatte es gewusst, noch ehe er sich auf den Weg machte. Aber es musste sein. Es sollte so sein.
Er betrat den großen Wohnraum. Wieder eine Statue von Anubis. Diesmal menschlicher gehalten, kunstvoll bemalt und in edle Gewänder gekleidet. Und gleich neben ihm eine ähnliche Statue des Chaos-Gottes Seth – dem großen Zerstörer. Lemain hegte von jeher schon eine tiefe Zuneigung zu den beiden Unterweltsgöttern. ‚Sie verkörpern, was wir sind’, hatte er einst zu Armand gesagt. In jedem seiner Domizile fand man Skulpturen und Darstellungen der beiden. Einige freie Interpretationen sogar, in denen sie als Homosexuelle dargestellt wurden, die sich in den Flammen der Unterwelt und den Stürmen des Himmels leidenschaftlich liebten. Nicht minder erfinderisch, was die Stellungen und Spielarten anging, als Lemain selbst. Armand hatte in der Zeit ihres Zusammenlebens oft darüber nachgedacht, ob einige dieser Arbeiten von Lemain selbst stammten, oder ob sie ihn lediglich inspirierten. Einmal hatte er ihn danach gefragt. Doch Lemain hatte nur gelächelt. Armand riss seinen Blick von den beiden makellosen Götterbildern.
„Warum verfolgst du mich noch immer? Nach so langer Zeit?“, fragte er.
Langsam kam sein Dunkler Vater auf ihn zu, bis er direkt vor ihm stand. Auge in Auge. „Ich habe es auch nicht vergessen, Liebster“, flüsterte er mit dunkler Stimme.
„Nenn mich nicht so. Das ist lange her.“
„Welche Bedeutung hat die Zeit schon für uns?“, antwortete Lemain heftig. „Wir sind ihr ebenbürtig.“ Lemains Nähe hatte immer noch die gleiche Wirkung auf Armand wie vor über hundert Jahren. Es gelang ihm nicht, sich zu entziehen. Also suchte er sein Heil in der Flucht und wich an das andere Ende des Raumes zurück. „Du willst doch nicht schon wieder vor mir fliehen?“ Lemains Stimme klang belustigt und zynisch.
„Ich will die Sache nur ein für allemal klären. Was du mir angetan hast, könnte ich vergessen. Es ist Ewigkeiten her, und ich habe mich davon befreit. Ich habe gelernt, dass Hass und Rache keine Emotionen sind, mit denen ein Vampir leben kann. Man erträgt keine Jahrhunderte mit ihnen im Herzen.“
„Luciens Lehren“, spottete Lemain, was Armand überging.
„Aber was ich dir niemals verzeihen werde, ist das, was du mit Melissa gemacht hast.“
„Sie hat keinen Schaden genommen.“
„Sie hat nichts damit zu tun.“
Jetzt reichte es Lemain anscheinend. Seine Stimme wurde zu einem gefährlichen Zischen. „Oh doch, das hat sie. Von dem Moment an, als du Anspruch auf sie erhoben hast, hatte sie etwas damit zu tun. Ich habe sie genommen, ja. Aber du hast sie selbst in meine Hände gespielt. Hätte ich nicht dein Blut in ihr gespürt, ich hätte sie ziehen lassen, nachdem sie und ihr Begleiter Sophie ihre Hilfe zugesichert hatten. Aber als ich sie sah … als ich spürte, dass sie dir gehört … Es war die Chance, auf die ich seit Jahrzehnten gewartet hatte.“
Armand senkte für eine Sekunde den Blick. Eine Sekunde zuviel, denn Lemain war bei ihm, noch ehe er den Blick wieder hob, drückte ihn gegen die Wand und versperrte ihm jede Möglichkeit zum Rückzug. Ein Zittern lief durch seinen Körper, als er das leidenschaftliche Funkeln in den Augen des anderen Vampirs sah. Lemains Hand fuhr zärtlich über sein Gesicht, glitt seinen Hals hinab bis zum Kragen seines Hemdes. Mit einer einzigen Bewegung riss er es in Fetzen, um Armands bloße Haut spüren zu können. Armand wollte zurückweichen vor dieser Heftigkeit, doch in seinem Rücken war die Wand. Ein Kuss, verspielt wie ein Windhauch, streifte seine Lippen.
„Du hast nicht die geringste Vorstellung davon, wir sehr ich dich begehre, Armand.“
„Ich fürchte doch.“ Lemains Augen glitzerten bei dem vertrauten Klang in Armands Stimme. Er gab nach. „Weil ich dich nach all diesen Jahren immer noch genauso sehr begehre.“
Mit einem leisen Stöhnen stieß Lemain den Atem aus. Er schlug seine Fangzähne in Armands Kehle und trank gierig das hervorquellende Blut. Dabei streichelte er Armands nackten Oberkörper, bis sich die Muskeln unter der kalten glatten Haut anspannten vor Erregung. Armand ließ ihn widerstandslos gewähren.
Lemain trank viel. So viel, dass Armand schwindlig wurde, und er sich an ihm festhalten musste. Erst da gab er ihn wieder frei.
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