Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
sorgte seit Jahrhunderten dafür, dass niemand seine Ruhe und Abgeschiedenheit in der Wüste störte. Durch irgendwelche Ausgrabungen zum Beispiel. Als Gegenleistung stellte er seine Fähigkeiten in ihre Dienste. Ein Geschäft, von dem beide Parteien profitierten.
Die Nacht des Jahreswechsels sei ein guter Zeitpunkt, um relativ gefahrlos zwischen den Welten zu wechseln, hatte er entschieden. ‚Relativ gefahrlos’! Seufzend gestand ich mir auf der Fahrt durch die nächtliche Wüstenlandschaft ein, dass ich mehr Angst hatte, als ich zugeben wollte. Hinzu kam eine unbestimmte Ahnung diesen Magier betreffend, die stärker wurde, je näher wir seiner Höhle kamen. Ich kämpfte gegen einen Anfall von Klaustrophobie, während wir uns durch enge Gänge vortasteten, mit einer Fackel als einziger Lichtquelle.
„Melissa“, flüsterte Sadall in der Dunkelheit. „Da sein vielleicht Problem. Karim sagt, ist okay. Aber ich dir besser sagen.“
Mir schwante etwas. Mein Magen zog sich zusammen. „Dieser Wüstenmagier ist ein Vampir, nicht wahr?“
Sadall nickte. „Du sein sicher, dass du trotzdem zu ihm wollen?“
Ich atmete tief durch und nickte dann entschlossen. Wir traten durch einen letzten steinernen Bogen und befanden uns in einem größeren Raum, in dem ich aufrecht stehen konnte. Der Magier saß tief über seine Mixturen gebeugt, am anderen Ende. Die Gewissheit, dass er ein Vampir war, durchfuhr mich wie ein elektrischer Schlag. Er bedeutete uns mit einer Geste, dass er unser Eintreten bemerkt hatte, aber er wandte sich uns nicht zu. Also warteten wir. Und warteten. Und warteten.
Verstohlen blickte ich mich in der Höhle um, aber viel mehr als nackter Fels und eine Unmenge an Schriftrollen und Gefäßen mit seltsamem Inhalt gab es nicht zu sehen. Ich überlegte gerade, ob wir nicht besser wieder gehen sollten, als er sich schließlichumdrehte. Er war schön, wie jeder von ihnen, aber in seinen Augen lagen nicht diese Kälte und das gefährliche Glitzern, das mir an Armand und vor allem Lemain aufgefallen war, sondern etwas Sanftes, Mitfühlendes.
„Guten Abend, Sadall! Melissa“, begrüßte er uns mit einem Neigen seines Kopfes. Sein Haar war schwarz wie die Nacht und kurz geschnitten. Seine Augen blau und klar wie Bergseen. Um seine Lippen spielte ein freundliches Lächeln, das für eine Sekunde gefror, als sein vampirisches Wesen mich musterte. Was hatte er entdeckt? Kannte auch er Armand? Oder Lemain? Der Moment ging vorbei, und er zeigte keine weiteren Anzeichen von Verwirrung.
„Wie unhöflich, dass ich euch warten ließ. Vergebt mir bitte. Mein Name ist Athaír, Melissa. Und du musst dich nicht vor mir fürchten.“
„Ich …“
„Ich spüre deine Unruhe. Es ist keine Schande, dass du so empfindest. Ich spüre, was andere meiner Art dir antaten. Aber sei versichert, dass ich nichts dergleichen tue. Ich habe in meinem ganzen unsterblichen Leben noch nie von einem menschlichen Wesen getrunken, außer von meinem Schöpfer.“
Ich war erstaunt. Wie kam es, dass er so anders war als alle Vampire über die ich von Armand gehört hatte? ‚Zwei Dinge, ohne die kein Vampir leben kann’, hatte Armand gesagt, ‚Blut und Lust’. Warum brauchte Athaír das nicht?
„Ich lebte schon als Magier, lange bevor mein Schöpfer mich in ein Wesen der Nacht verwandelte. Mit der Überzeugung, nie etwas zu nehmen, das ich nicht zwingend zum Überleben brauche. Ich besaß schon damals sehr viel Selbstdisziplin. Mein Schöpfer kam in der Absicht, zu töten, und die Götter allein wissen, warum er mir die Ewigkeit schenkte. Meinen beiden Novizen brachte er den Tod. Wir haben nie wieder ein Wort miteinander gewechselt. Ich sah ihn nur noch ein einziges Mal. Doch so wie ich das Leben damals ehrte, ehre ich es heute. Ich brauche nur wenig Blut, und es gibt genügend Wesen, die es mir geben können.“
„Aber die Leidenschaft, die allen Vampiren innewohnt …“
„Dafür kann ich dir keine Erklärung geben. Vielleicht benötige ich sie nicht, weil mir bei meiner Schöpfung keine zuteil wurde. Soviel ich gehört habe, ist das normalerweise anders. Aber wie ich schon sagte, mein Schöpfer kam nicht in der Absicht, mich zu seinem Gefährten zu machen. Er erschien mir damals, vor fast fünftausend Jahren, wie ein verhungertes Raubtier, das seit Wochen die erste Beute sieht. Er brauchte mein Blut, sonst wäre er zugrunde gegangen. Vielleicht schenkte er mir aus Dankbarkeit die Ewigkeit. Jedenfalls ist das die Erklärung,
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