Ruf des Blutes 1 - Tochter der Dunkelheit (German Edition)
Zärtlich küsste er ihn auf den Mund. Ließ ihn sein eigenes Blut von seinen Lippen kosten.
„Ich wusste, du würdest zurückkommen.“
„Ich komme nicht zurück“, betonte Armand nochmals, um Atem ringend.
„Das spielt keine Rolle. Du bist hier, das genügt mir.“
Der Geschmack des Blutes von Lemains Lippen brach das letzte bisschen Widerstand, das Armand noch aufrechterhalten hatte. Er hatte Hunger. Brennenden Hunger – und zwar nicht nur nach Blut. Er erwiderte Lemains Kuss, senkte seine Zähne in dessen Lippen, um sich zurückzuholen, was der andere ihm genommen hatte. Sie sanken zu Boden, engumschlungen, selbstvergessen in ihrer Leidenschaft. Was einst gewesen, hatte die Jahrzehnte überdauert. Und Armand ergab sich diesem Rausch. Der Schmerz war so bittersüß wie eh und je, als Lemain ihn nahm und ihn spüren ließ, dass er noch immer sein Sohn der Dunkelheit war und ihm nie völlig entfliehen konnte.
Als er Lemain im Morgengrauen verließ, war er sicher, dass er zurückkommen würde. Er konnte nicht sagen, dass die Wut und der Abscheu völlig verschwunden waren, doch der Hass brannte schon lange nicht mehr so heiß wie damals. Er war reifer geworden mit den Jahren. Und mit den Gefährten, die er gehabt hatte. Vieles verstand er heute besser. Doch vieles konnte er Lemain noch immer nicht verzeihen. Dunkle Erinnerungen waren mit seinem einstigen Liebhaber verbunden, die ihm in die Seele schnitten wie glühende Klingen, sobald er ihn auch nur ansah. Er mochte sie verdrängen, doch sie waren noch immer da. Etwas anderes jedoch auch. Er war seinem Dunklen Vater längst nicht mehr hörig. Aber die Leidenschaft, die sie einst verbunden hatte, war noch dieselbe. Warum sollte er das verleugnen? Und die Wut über das, was mit Melissa geschehen war? In den Flammen ihrer Leidenschaft verbrannt.
Sie bedeutete ihm alles, doch Vampire maßen mit anderen Maßstäben. Was Lemain getan hatte, mochte Armand als den Mann, der Melissa liebte, zur Raserei treiben, als Vampir jedoch verstand er Lemains Handeln nur zu gut. Wut und Verständnis hielten sich die Waage, hoben sich gegenseitig auf, bis es bedeutungslos war.
Athaír
Ein Schatten in der Tür. Mama hat Angst. Ich kann den Schatten spüren, obwohl ich ihn nicht sehe. Es ist die schwarze Hexe. Die Falle schnappt zu. Da sind Hände, die mich packen. Sie reißen mich von Mama weg. Wo ist Tante Lilly?
Ein Schrei wie von einer Furie. Blut, ganz viel Blut. Da liegen tote Frauen am Boden. ‚Sieh nicht hin, Melissa!’ Ich bin in Tante Lilly Armen. Mama auch. Wir haben keinen Boden unter den Füßen. Die schwarze Hexe hat keinen Besen. Jetzt kann sie uns nicht mehr kriegen. Tante Lilly kann fliegen. Wie ein Vogel
.
Ich blieb lange Zeit bewegungslos liegen, als ich aus dem Traum erwachte. Prägte mir die Einzelheiten ein. Mit jedem Traum kam ein neues Puzzlestück hinzu. Die Nebel, die Margret Crest um meine Erinnerungen gewoben hatte, lichteten sich mehr und mehr. Doch irgendetwas zog mich diesmal zurück in den Traum. Ich versuchte, dagegen anzukämpfen, aber meine Lider wurden schwer, der Sog zu stark.
Licht. Da ist helles Licht. Wo bin ich hier?
„Melissa!“ Es ist Mamas Stimme. „Melissa, du musst zu mir kommen. Gefahr! Große Gefahr. Komm zu mir, Melissa. Komm ins Reich der Toten. Finde den Wüstenmagier. Er wird dir die Tore öffnen.“
Ich erwachte mit dem sicheren Wissen, dass dies kein Traum gewesen war. Meine Mutter hatte nach mir gerufen. Und ich musste ihr folgen. In die Totenwelt.
Karim war erschüttert, als ich ihm von dem Traum erzählte. Vor allem, weil ich fest entschlossen war, die Tore zu durchschreiten und dem Ruf meiner Mutter zu folgen. Bei dem Wort ‚Wüstenmagier’ tauschte er einen erschrockenen Blick mit Sadall, seinem persönlichen Assistenten. Doch dann nickte er ihm zu, und der junge Mann erhob sich, um wortlos den Raum zu verlassen.
„Melissa, was du vorhast, ist nicht ungefährlich.“
„Das ist mir durchaus bewusst. Aber ich muss es tun. Dieser Wüstenmagier. Es gibt ihn, nicht wahr? Du weißt, von wem ich spreche.“
Er nickte bedächtig. „Franklin wird das gar nicht gefallen.“
Da stimmte ich ihm zu. Doch ich hatte nicht die Absicht, ihn um Erlaubnis zu fragen. Wenn es sein musste, würde ich dieses Vorhaben auch allein in die Tat umsetzen. Deshalb gab Karim nach. Er wollte nicht, dass ich es auf eigene Faust versuchte.
Sadall hatte den Wüstenmagier aufgesucht. Er war bereit, uns zu helfen. Die Ashera
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